Diverse Atemnöte, ja Talanität in diesem Konzert. Merkwürdige Erfahrung: ein vom Publikum bejubeltes, von der Kritik gelobtes, im äußerlichen Sinn gewiss geglücktes Konzert als befremdlich und beunglückend zu erleben. So dem Konzertgänger geschehen im Konzert des Deutschen Symphonieorchesters unter dessen neuem Chef Robin Ticciati.
Am zweiten von zwei Abenden, Montag nach den Winterferien. Schon wieder ist Klaus Lederer da, unser Kultursenator. Den sieht man ja in einer Woche öfter in klassischen Konzerten als seinen Vorgänger Tim Renner in drei Leben. Und Magdalena Kožená samt Ehemann sitzen gleich dahinter.
Ein paar Minuten Zeitgenössik zu Beginn. Lieber unbekannter Sitznachbar des Konzertgängers: Mit der Rezeptionshaltung Öh, was Modernes, zum Glück nur siebeneinhalb Minuten wirds auf jeden Fall schwer. Selbst wenns Magnus Lindberg ist. Schon früher mal Verdacht, dass Lindberg recht gern in Sinfoniekonzerten gespielt wird, weil halt recht süffig tönend; für andere sämig. Aber wenns so oder so zu öh, was Modernes führt, kann man die falsche Rücksicht auch lassen und gleich Spektralisten oder Lachenmannschüler spielen. Dabei ist gegen Lindbergs Chorale (2001/02) wenig einzuwenden. Der Beginn klingt ein wenig wie Bergs Violinkonzert am Schluss, d.h. sehr gut und Bachchoral. Der sich aber bei Berg erst herausgeschält hat, hier von Anfang an da ist, woraus sich dann weniger zu entwickeln scheint als dass es sehr gekonnt und etwas dick klangstromt. Salvatorische Klausel: einmaliger Höreindruck, das.
Danach ist Alban Bergs raffinierte, differenzierte Orchesterbehandlung die reine Freude. Die Sieben frühen Lieder schrieb Alban Berg 1905 bis 1908, aber orchestrierte sie erst 1928, d.h. es sind zugleich Sieben späte Lieder. Der Gesang von Karen Cargill, die für Genia Kühmeier eingesprungen ist, erinnert an Lindbergs Orchestersound: wohl- und volltönend, aber mit Neigung zum Pauschalen. Der Mezzo klingt wunderschön, aber hat so ein Universal-Espressivo und verliert sich in der Tiefe manchmal in undefinierbarem Urgrund. Und was singt sie da eigentlich? Man vernimmt leuchtende Vokalisen, aber erkennt nicht, um welche Sprache es sich handelt; geschweige denn nur eine Silbe vom Text. Was schade ist, so entgehen einem Verse wie stille Pfade silberlicht talan (im ersten Lied Nacht).
Andererseits, wenn man nichts versteht, klingt alles talan.
Talan mit sieben Siegeln bleibt dem Konzertgänger dann auch, was Robin Ticciati von Anton Bruckners 6. Sinfonie A-Dur will, die er so wendig wie auswendig dirigiert. Um Missverständnissen vorzubeugen: Das DSO ist wie schon bei Lindberg und Berg (von Pingeligkeiten abgesehen) bestens aufgestellt und gestaffelt und sortiert, ein beeindruckend sauberes Klangbild. Da stolpert fast nichts, obwohl es so überstürzt bis galoppierend in den Kopfsatz geht. Für den Konzertgänger hats gar was von Brutal Lustiger Sinfonietta, nur eben scharf und knallig statt keck. Aber doch mehr ein Japsen als ein Atmen, vor allem am Ausatmen haperts. Auch der zweite Satz scheint wenig ökonomisch, mit Tendenz zum Hyperventilieren. Es ist, als würde der überambitionierte Ticciati die Musik so fest umklammern, dass sie Atemnot bekommt. Selbst das geliebte Trio im dritten Satz: als wollten die Bläser den Pizzicati nicht antworten, sondern sie erschrecken wie so ein Horrorclown, der hinter dem Busch hervorspringt.
Die Hektik, die Schärfe, das mag alles von Ticciati so gewollt sein. Nur wozu? Um Bruckner zu entstauben? Muss das sein, entstauben mit dem Kärcher?
Note to self: Bei Bruckner von Dirigenten unter 70 in nächster Zeit ganz vorsichtig sein (Ausnahme Metzmacher).
Das Publikum ist begeistert, Klaus Lederer am begeistertsten. Dem Ehemann von Magdalena Kožená dürfte’s auch gefallen haben, dessen Bruckner hat der Konzertgänger in ähnlicher Erinnerung. Scharf, knallig, befremdlich, beunglückend, talan.
Konträrbeohrte Kritiken zu diesem Konzert: Schlatz, Krieger, Goldberg, Mahlke
Nachtrag: Tagelange Recherchen ergaben, dass „talan“ kein vergessenes Adjektiv ist, sondern eine Wortbildung wie „bergan“ sein muss, also im Sinne von „talaufwärts“. Fast ein bisslschade. Aber herzlichen Dank an E.A. Brokans und Helmut Krausser!
Muss sagen, ich hatte weniger Probleme mit Cargills Deutsch.
Danke für die Rezension und den ganzen wunderbaren Blog.
Ich habe den Bruckner wie Sie gehört, eher noch unzufriedener. Allerdings am Sonntag. Wollen wir hoffen, dass hier nicht Kaiserkleider bejubelt werden von den anderen Renzensenten…
Da danke ich fürs Lob. Und freue mich, dass ich mit meiner Skepsis nicht allein stand.
Interessant zu lesen!
War nicht im Konzert, habe nur das DSO-Video gesehen. Darin sprach Ticciati von „War“ im Scherzo…
Ja, das ist alles nicht „passiert“, sondern gewiss Absicht gewesen. Aber mir wars nix.
Soll er mal selbst zu Wort kommen: