Anfangsvoll: Robin Ticciati beim DSO mit Rebel, Larcher, Strauss

Jede Menge Anfang: Zwei Werke mit den dollsten Beginnen der Musikgeschichte rahmen das Konzert, mit dem Robin Ticciati als neuer Chefdirigent beim Deutschen Symphonie-Orchester antritt. Zu diesem Anlass gibts sogar ein zehntägiges „Mini-Festival“. In der Philharmonie sind Kulturministerin Monika Grütters und der scheidende Bundestagspräsident Norbert Lammert dabei, Dunja Hayali, Aribert Reimann und Christian Tetzlaff im Pulli.  Tetzlaff in Block A, Reimann in B Reihe 3, der alte Fuchs weiß, wo man am besten hört.

Problem mit Werken, die doll anfangen: dass sie zwangsläufig stark nachlassen, wenn der dolle Anfang vorbei ist. Wer verträgt den dollen Anfang nun besser, der Zarathustra oder Jean-Féry Rebels Ballettsuite Les éléments (1738)?

Letzterer, lautet für einen eingeschworenen Straussmuffel wie den Konzertgänger die Antwort. An den grandiosen Elementarbeginn mit dem atemberaubenden Barock-Cluster kommt zwar nichts heran. Aber es ist die reine Freude, wie flugs es vom Schöpfungschaos ins höfische Tanz-Idyll geht. Wie lieblich das Feuer in den Violinen flackert. Wie das Wasser in den Flöten plätschert und die Luft im Piccolo weht und unter allem die Erde brummelt. Wie schön man die Fagotte hört. Und wie die Vögel aus dem Saal zwitschern. Denn ein halbes Dutzend DSO-Musiker sitzt im Publikum verteilt und tiriliert in den Sätzen Ramage und Rossignols.

Auch die Windmaschine ist dabei! Da ist der Konzertgänger aber froh, am Schluss nicht Richard Strauss‘ schreckliche Alpensinfonie hören zu müssen („wenn die Windmaschine doch schon mal da ist“), sondern Also sprach Zarathustra. Der weltberühmte Anfang hier in einer Aufnahme des Nordkoreanischen Weltraumorchesters:

Das DSO wählt unter Ticciati einen diametral anderen Interpretationsansatz: vielleicht weniger wuchtig, aber doch spieltechnisch überlegen. Der Anfang klingt elegant, fast leicht. Ausgewogen klingt die sinfonische Dichtung hier, stets wohlproportioniert: klangtrunken, aber nicht klangbesoffen. Zwar kommt der Konzertgänger auch an diesem Abend nicht von der Zwangsvorstellung los, die ihn beim Zarathustra wie auch beim Heldenleben befällt: In den strahlendsten Dur-Exaltationen sieht er vor seinem inneren Auge stets einen dicken wilhelminischen Untertanen, der sich am FKK-Strand jauchzend der Morgensonne entgegenreckt. Aber bei Ticciati reckt er sich schlanker als gewohnt.

Eingefleischten Straussianern mag das alles zu kultiviert sein, zu zurückhaltend. Aber an Spielfreude mangelt es nicht! Man spürt, dass die Chemie zwischen Dirigent und Orchester stimmt. Und Ticciati strahlt großes Musikglück aus, zugleich wirkt er sympathisch schüchtern, ja am Anfang sogar aufgeregt.

Zwischen Rebel und Strauss setzt Ticciati zudem ein starkes Signal: ein Stück neue Musik im Antrittskonzert. Und zwar kein Alibi-Häppchen, sondern ein gewichtiges, ausuferndes Werk, deutsche Erstaufführung zudem. Dafür ein dickes Bravo.

Selbst wenn Thomas Larchers Symphonie Nr. 2 ›Kenotaph‹ (2016) mit seinem riesigen Orchesterapparat und dem, zumindest an der Oberfläche, klassisch viersätzigen Bau den Konzertgänger etwas ratlos macht. Alle Instrumente der westlichen Hemisphäre stehen auf dem Podium, inklusive Akkordeon und Atommülltonne. Nur die Windmaschine fehlt. Dafür gibt es viel Wind in den Streichern und noch mehr Bumpern im Tutti. Am Ende des Kopfsatzes dröhnen die Bleche wie Herr Taschenbier, der am Donnerstag mit Donner versucht, das Sams herbeizurufen.

Ein Grabmal für die Opfer der Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer soll das sein. Hm.

Es gibt hübsche Ideen wie den kleinen Ländler-Schweif am Ende des dritten Satzes. Und vieles klingt reizvoll, ja spektakulär. Es knallt, schwirrt, schwelgt höchst atmosphärisch. Aber der Konzertgänger wird sich nicht klar darüber, ob ihm der dazugehörige Film fehlt oder ob er froh ist, den nicht auch noch sehen zu müssen. Auf jeden Fall ist dieser Film eher Roland Emmerich als Robert Bresson.

Der Saal ist schwer begeistert. Endlich mal neue Musik, die nicht ad infinitum über die Materialität der eigenen Klangerzeugung nachsinnt. Aber vielleicht sollte Ticciati sich in Sachen neuer Musik doch nochmal umhören. Muss ja nicht gleich so subsubsubtil wie Mark Andre sein.

Wer selbst nachhören mag: bitte sehr. Und auf jeden Fall unbedingt mehr Neues im Konzert! Ein, zwei, viele halbe Stunden.

Freitag gehts das Ticciati-Mini-Festival im Kraftwerk Mitte weiter, da steht neue und alte und mittlere Musik vom Feinsten auf dem Programm.

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