Dreiflügelig: Bach mit Vinnitskaya, Hadzigeorgieva, Koroliov und Kammerakademie Potsdam

Wenn die Kammerakademie Potsdam es regelmäßig nach Berlin schafft, kann mans als Berliner auch mal zur Kammerakademie nach Potsdam schaffen. Zumal bei einem so raren Programm mit so erlesenen Solisten. Zwar kommt man sich als Berliner in Potsdam immer ein bisschen vor wie der Gassenstrolch im piekfeinen Nachbarhaus. Aber die Potsdamer sind gastfreundlich, zumal im entspannten Nikolaisaal, wo man behaglicher sitzt als auf den meisten Berliner Konzertsesseln. Unbehagen nur ein paar Stunden vorher, wenn man bereits im aprilsommerlichen Potsdam eingetroffen ist, voller Vorfreude auf drei koryphänomenale Pianisten, die Bach, Bach und nochmals Bach spielen sollen — und dann spazierengehenderweise am Eingang des Nikolaisaals liest:

Zum Glück gibts dann aber doch die drei lustvollen Hamburger Pianisten unterwegs Anna Vinnitskaya, Evgeni Koroliov und Ljupka Hadzigeorgieva, das M&M-Plakat hing bloß noch vom Vortag.

Wobei diese Pianisten ebenfalls sowohl lustig als auch musikantisch sind. Zunächst betreten die Damen Vinnitskaya und Hadzigeorgieva die Bühne, um Bachs Konzert für 2 Klaviere c-Moll BWV 1062 zu spielen. Im dichten ersten Satz erzeugen die beiden Steinways doch einen erheblichen Klangrausch, obwohl die vier Pianistinnenfüße sich da noch fern aller Pedale halten.

Die bachmesserische Frage, ob man für Cembalo gesetzte Stücke auf modernen Konzertflügeln spielen darf, stellt sich trotzdem nicht.

Denn erstens sind diese darf-man-Fragen ohnehin meist ätzend (und zwar nicht im bachschen Sinn). Zweitens ist dieses Stück bekannter in der noch originaleren, einen Ton höher gelegenen Version für zwei Violinen, Bach selbst bearbeitete es für Tasteninstrumente. Und drittens hat der Konzertgänger aufgrund missbräuchlicher Dauerschleifenrezeption im Teenageralter ohnehin diese Version der lustigen Musikanten Oistrach & Oistrach im Ohr, für die Bachmesser heutzutage Exkommunikation, Vierteilung und Verbrennung verhängen würden:

Hier nun eine Version mit zwei Cembali:

Die Steinway-Version mit Vinnitskaya & Hadzigeorgieva wird man demnächst auch dans conserve hören können, denn sie haben das Stück soeben im Tonstudio eingespielt (wie auch den Rest des Programms mit Koroliov und der Kammerakademie). Im Konzert weicht der allererste Klangrausch-Eindruck schnell einem differenzierteren Hören, obwohl die Pianistinnenfüße im zweiten Satz Andante e piano dann doch (dezent) das Pedal touchieren. Ein zarter, fein abgestufter Klang ist das.

Im Konzert für 2 Klaviere C-Dur BWV 1061 stehen die beiden Klaviere viel stärker im Vordergrund, der Streichersatz ist hier nur sehr behutsame Begleitung, möglicherweise erst später hinzugefügt. Vinnitskaya spielt jetzt mit Koroliov: im mittleren Adagio ganz ohne Orchester – das ist von einer so überirdischen Konzentration, dass einige der zuhörenden Streicher andächtig die Augen schließen und die Köpfe senken. Auf anderer Ebene rührend wirkt, wie Hadzigeorgieva ihrem Ehemann Koroliov die Seiten umblättert – selbst wenn er gerade eine Spielpause hat.

Alle drei Pianisten spielen auf extra-exorbitantem Niveau, auch wenn Koroliovs Ton noch immer das Extra-Gran profilierter, durchdrungener und (obwohl das ja „weltliche“ Musik ist) transzendenter wirkt. Das mag freilich auch mit dem Heidenrespekt des Konzertgängers zu tun haben, der Koroliov vor einigen Jahren die gesamte Kunst der Fuge spielen hörte – gewiss einer der überfordendsten Abende seines ganzen Konzertgängerlebens. Vinnitskaya indes wirkt mit ihrer lustvollen Spiellaune am musikantischsten, Hadzigeorgieva gerade in ihrem Understatement am charismatischsten und, mit Reverenz verstanden, auch am lustigsten.

Dann alle drei gemeinsam: Während im Konzert für 3 Klaviere d-Moll BWV 1063 einer der Pianisten noch am Katzenflügel sitzt, sozusagen als sechster Finger an der Hand, sind im Konzert für 3 Klaviere C-Dur BWV 1064 alle Parts gleichrangig. Gewiss der Höhepunkt des Konzerts, denn auch die sage und schreibe 20 Streicher der Kammerakademie sind hier ebenbürtiger feuerfunkelnder Dialogpartner.

Das hohe Niveau der Kammerakademie Potsdam zeigt sich zudem im steinwayfreien 1. Brandenburgischen Konzert F-Dur BWV 1046, geleitet von der Gastkonzertmeisterin Suyeon Kang. Ein voller, aber nie drückender Klang mit starkem Bass. Das Adagio ist von bebender Expressivität (vorzügliche Soli Kangs und des Oboisten Jan Böttcher), das facettenreiche Finale entzückt mit klarer Struktur und bizarrer Menuett-Galanterie. Vor allem aber überzeugt die KAP nicht nur durch Kompetenz, sondern strahlt eine mitreißende Spielfreude aus.

Das Potsdamer Publikum ist interessiert, der Saal ausverkauft, auch wenn nicht gerade Youth Bulge droht. Dass an den unmöglichsten Stellen gehustet wird, ist in Berlin ja nicht anders.

Als Zugabe noch ein Zaubertrick: Die drei Pianisten spielen das Bach-Vivaldi Konzert für vier Klaviere BWV 1065. Persönliche Zugabe für den Konzertgänger: dreißig Kilometer auf dem Fahrrad von Potsdam nach Berlin-Mitte durch die hereinbrechende Nacht, der Mond leuchtet blutorange über Schloss Babelsberg.

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