Distanziert: Verdis „Don Carlo“ an der Staatsoper

Verdi-caricature-Don_Carlos-1867Drei Gründe sprechen für den Don Carlo, der jetzt an der Staatsoper im Schillertheater wiederaufgenommen wurde: Erstens René Pape, zweitens René Pape, drittens — nicht nur René Pape, sondern auch Marina Prudenskaya, Roman Trekel und ein insgesamt guter Cast. Die Staatskapelle unter Massimo Zanetti agiert sehr sängerfreundlich, manchmal vielleicht zu sehr. Die enormen Qualitäten, die sich vor allem in den Vor- und Zwischenspielen zeigen, scheinen mehr aus der Substanz des Orchesters zu kommen als durch Akzentsetzung des Dirigenten. Die Solisten, allen voran der Cellist, erfüllen die hohen Erwartungen. Der Chor zeigt sich nach anfänglichem Wackeln schön gestaffelt.

Ladies und Kleriker first: Lianna Haroutounian als Elisabeth hat eine leichte Schärfe im Timbre, aber sichere Höhe und großes Volumen. Ein klein wenig farblos wirkt sie doch, was an der Rolle liegen mag. Eine Gewährsperson des Konzertgängers, die diesen Don Carlo schon circa 101mal gesehen hat, versichert nämlich, Haroutounian sei die bisher prägnanteste Elisabeth dieser Inszenierung. Um Welten charakteristischer natürlich Marina Prudenskaya als Eboli, von einer Kälte, dass die Bude brennt, und so feurig, dass das Blut in den Adern gefriert. Der Großinquisitor Mikhail Kazakov wirkt zwar wie ein Provinzmafioso, hat aber eine unglaubliche vokale Steigerungsfähigkeit.

Don_Carlos_posterDie braucht René Pape nicht: auch mit achtzig Prozent Leistung noch ein Weltklasse-Philipp. Ob er (wie bei der Wiederaufnahme am 14. Mai) auch bei der besuchten zweiten Vorstellung am 17.5. noch als indisponiert zu gelten hat oder generell ein ganz klein wenig über den Zenit ist, sei dahingestellt; auch ohne die vertraute Wunderwirkung so beeindruckend wie ergreifend. Roman Trekel ist ein Marquis Posa von enormer Gestaltungs-Intelligenz, auch wenn man bei seinem Tiefe-Töne-Gurgeln manchmal fürchtet, dass er gleich ausspülen wird.

Das Gegenteil von Pape und erst recht Trekel ist Fabio Sartori als Don Carlo: Ein fast überzüchtetes Tenor-Ereignis mit eingebauter Schluchzfunktion; er könnte locker die Arena von Verona beschallen, die das Schillertheater aber nun mal nicht ist. Das sollte ihm jemand sagen; auch wenn es zur Rolle des Don Carlo, dem Trotteltenor aller Tenortrottel, durchaus passt, auf so hohem Niveau dermaßen übers Ziel hinauszuschießen.

Nur dass stimmlich zwischen Sartori/Carlo und Trekel/Posa nichts knistert, sich nichts verbindet. Dazu trägt aber auch die emotional desinfizierte Inszenierung von Philipp Himmelmann bei, die die beiden immer mindestens eine halbe Bühne auseinander sein lässt. Eine distanzierende Regie-Kopfgeburt, die sich im Exposé bestimmt gut liest. Wie es sich auf der Bühne so distanziert anschaut und vor allem anhört, ist eine andere Sache.

Aber wenn gleich zu Beginn erst ein Aktenkoffer auftaucht, dann pistolenfuchtelnde Lesben in Männeranzügen, wird mancher Zuschauer sich schon innerlich distanzieren.

Etwas spricht auch für diese Inszenierung: Sehr schöne Farben erstens — alles Schwarzweiß nämlich, außer dem Rotwein, Elisabeths Kleid und den blutigen Striemen der Inquisitions-Opfer. Zweitens sehr schöne Formen — nur rechte Winkel, außer dem Leuchter und den Köpfen. Am allerrechtwinkligsten ist der zentrale Esstisch-Quader in Sarggröße.

In der vielleicht effekthascherischen, aber doch packenden Autodafé-Szene kauern vor diesem Tisch, an dem die Königsfamilie speist, fünf geschundene Nackte, die schließlich an den Füßen hochgezogen und angezündet werden. Und wenn sich am Ende der Großinquisitor auf den freigewordenen Platz des entrückten Infanten setzt und sich von der armen Königin den Tee eingießen lässt, wird beklemmend spürbar, dass im Don Carlo diese Elisabeth neben den unterdrückten Flamen die große Angeschmierte ist.

Drei weitere Aufführungen bis Ende Mai.

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7 Gedanken zu „Distanziert: Verdis „Don Carlo“ an der Staatsoper

  1. Als Niederländer immer ärgerlich, das über Flandern und Flämen gesongen wird, den 80 Jährigen Krieg war Zwischen Spanien und den Niederlanden, so hat Schiller es auch gemeint.

  2. Ich habe den Staatsoper-Don Carlo jetzt 5 oder 6 Mal gesehen und frage mich langsam, ob ich nicht die Inszenierung nicht mag oder vielleicht nicht doch den Don Carlo nicht. Zu Hause höre ich sehr gerne in das Werk rein, aber in der Oper wollte der Funke nie richtig überspringen. Man hat ja einen enormen Respekt vor dieser ehrenwerten und kühnen Schiller-Adaption. Ein dramatischer Zug ist kaum vorhanden, die Szenen folgen einander wie separierte Bilder, Don Carlo jammert nur rum.
    Naja, mal sehen, ich gehe auch noch – erstmalig – in den Don Carlo der Deutsche Oper. Haben Sie den schon gesehen?

    • An sich mag ich solche weitschweifige Sachen. Zum Glück gibt es ja noch ein paar andere Figuren außer Elisabeth und der Tranfunzel Carlo. Die Inszenierung an der Deutschen Oper habe ich vor ein paar Jahren gesehen, hat mir ganz gut gefallen, ohne aber wirklich nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen. Vielleicht gehe ich im Juni oder Juli auch noch mal dahin.

  3. Mein Grund GEGEN eine meiner Lieblingsopern im Schillertheater kennen Sie ja, und ein bisschen bestätigen Sie ja meine Bedenken. Meine die Lautstärke, vor allem bei Sartori, wer ihn kennt, kennt seine kräftige Stimme. Das Trekel nen guter Posa ist, hätte ich nicht für möglich gehalten.
    Jetzt zum Holländer, stimme Ihre Kritik, was die Inszenierung betrifft zu, wenn auch ein bisschen zu düster. Mit Erik fand ich auch nachvollziehenswert.
    Mich hat die musikalische Seite auch nicht überzeugt, Youn ist für mich kein Holländer, Kehrer gut, aber wohl eher noch zu jung. Brimberg, na ja, Blondelle überraschend gut, und die anderen auch. Chor habe ich schon besser gehört, Orchester auch. Ausserdem sind 21/4 Std. doch ne Qual, da ziemlich warm..
    Um auf den Carlos noch mal zurückzukommen, ich freue mich jedenfalls auf den Juli in der DO

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