Laken und Gemeinisse: Premiere „GÖTTERDÄMMERUNG“ an der Deutschen Oper Berlin

Was unverzeihlich ist: dass diese „Götterdämmerung“ einen kaltlässt. Man kann Wagner gern auf den Kopf stellen oder ihm die Beine langziehen. Nur eine „Götterdämmerung“, die einen nicht tangiert, weder berührt noch wehtut – das geht nicht. – Meine zwei Groschen zur Wagnerpremiere an der Deutschen Oper Berlin vom vergangenen Sonntag kann man nachlesen im neuen VAN Magazin.

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Unwillens frei: FUCK MARRY KILL

Florence, oder: Wir backen uns eine Frau

Die Erkenntnis, dass das Frauenbild im Großteil des Opernrepertoires unter aller Sau ist, rennt offene Türen ein. Das heißt natürlich noch lange nicht, dass das Publikum durch diese offenen Türen auch hindurchginge. Vielleicht ist sogar alles noch schlimmer geworden, denn selbst die alte Opern-Weisheit It’s not over till the fat lady sings ist obsolet geworden: Heutzutage müssen die Sentas, Carmens und Desdemonas auch noch jung und schlank sein, um schön zu lieben und schön zu sterben. Aller Grund also, dass ein freies Opernprojekt im Prenzlauer Berg sich mit solchen Weiblichkeitsvorstellungen auseinandersetzt: unter dem prägnanten Titel FUCK MARRY KILL, nach dem gängigen Teenager-Spiel, und zugleich sowas wie das „Kinder Küche Kirche“ des Musiktheaters. Die Krone der Schöpfung nennt sich der erste von vier geplanten Teilen.

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Hörstörung (28): Simultandolmetschen beim Staatsopern-„Falstaff“

Unbedingt begrüßenswert ist es, wenn Touristen nicht nur Fernsehturm, Mall of Berlin und Madame Tussaud’s besuchen, sondern auch Theater, Konzertsaal oder Oper; dennoch ist „touristisches Publikum“ der Schrecken des hörenwollenden Opernfreunds. Beim derzeit wieder laufenden Verdi-Falstaff an der Staatsoper Unter den Linden (historische Premierenkritik von Schlatz) tuschelts, wisperts und raunts oben im dritten Rang wie im dritten Akt, der im nächtlichen „Spuk“park von Windsor spielt. Das ist nicht, was man hören will; denn mag die flutschige Inszenierung von Mario Martone bei aller Eingängigkeit auch plausibler Settings und etwelcher Gedanken zum Ganzen hart ermangeln, so ist es musikalisch ziemlich rund, Thomas Guggeis dirigiert schneidig, das Ensemble ist gut, allen voran der überragende Michael Volle (in dessen Sir John ich trotzdem nach Bayreuth immer noch den Sachs mithöre). Kontrapunkt des Publikumsgeflüsters ist dann stets das Ermahnen und Zischen der Gestörten. Und einmal entspinnt sich aus dem Rüffel ein kurzes Entr’acte-Gespräch, bei dem man den Grund eines südwestlichen baritonalen Dauermunkelns erfährt, nämlich das (um mit Karlsson vom Dach zu sprechen) unerhört gastfreie Bestreben eines wahren Gentlemans, seiner des gesungenen Italienischen wie des übertitelten Deutschen und Englischen gleichermaßen unkundigen Begleiterin den Fortgang der Falstaff-Handlung simultan zu verdolmetschen.

Alle Folgen der Reihe „Hörstörung“

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Faster, Ödipussycat! Kill! Kill!

Mythenschröckliches von Turnage und Enescu an Deutscher und Komischer Oper

Wenn der Sohne mit dem Vater (Ödipus-Version)

Ödipus-Total-Wochen in Berlin, erwerben Sie drei Komplexe und Traumata zum Preis von fünf! Während am Deutschen Theater das Original von Sophokles in der Extended version läuft, gibt’s an der Komischen Oper den seltsamen Grand-Monologue Œdipe von George Enescu und auf dem Parkdeck der Deutschen Oper Mark-Anthony Turnages wüste Eddy-aka-Ödipus-Sause Greek. Keine Ahnung, ob es gesund ist, sich das alles reinzuziehen, aber der Konzertgänger tut’s: den Sophokles demnächst (gemeinsam mit dem Sohnemann – wenn schon, denn schon), bei den beiden Opern war er am Wochenende dabei. Puh.

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Konzertgänger auf Reisen: Bayreuther Dachschäden und Münchner Fenster

Fensterblicke nach Bayreuther Dachschaden (Symbolbild)

Auf kleiner Post-Bayreuther Alpen- und Süddeutschlandreise, vielleicht nicht zur Wagner-Entgiftung, aber durchaus als Gegengewicht. Unter anderem mit einem feinen Kammerkonzert in München, wo die Karl Amadeus Hartmann-Gesellschaft in einem Schwabinger Keller ein feines Programm rund um ein Thema ihres Namenspatrons präsentiert: Eine Melodie aus dem dritten Satz seines Kammerkonzerts von 1935, die man „jüdisch“ nennen mag (oder melismatisch, wehmütig), bildet den Rahmen, dreimal wird sie von Musikern des ensemble hartmann21 vorgestellt, zuerst auf der Klarinette (Georg Lamprecht), dann auf der Flöte (Serena Aimo), schließlich auf dem Vibrafon (Marcel Morikawa). Dazwischen gibt es drei sehr hörenswerte Stücke, eins für Flöte solo von Altmeister Luca Lombardi und zwei, bei denen die Harfe von Melis Çom den Klangraum erst erfüllt: eine reizvolle Uraufführung Fensterblick der sehr jungen Komponistin Maline Euen, ideenreich und mit viel Klangsinn, und ein meisterlich facettenreiches Fenster.Shloshim von Sarah Nemtsov, bestehend aus 30 Miniaturen. Nemtsovs Ehemann Jascha gab übrigens kürzlich ein kurzes, doch interessantes Interview, in dem er erklärte, warum er niemals nicht keinen Fuß auf den Bayreuther Grünen Hügel setzen würde. Seiner Reduzierung des Wagnerhörens auf „Rausch“ würde ich zwar nicht zustimmen, aber natürlich ist es bedenkenswert, und dass manche Wagnerianer statt Fenster zur Welt einen geistig-moralischen Dachschaden haben, evident. Über solche Dachschäden, aber auch über sowohl berauschende als auch ästhetisch und intellektuell aufregende Bayreuth-Erfahrungen mit Walküre, Tannhäuser und den Meistersingern von Nürnberg habe ich inzwischen einen weiteren, sehr ausführlichen Artikel fürs VAN Magazin geschrieben. (Mein Bericht über die Premiere des Fliegenden Holländers ist dort auch noch zu lesen.)

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Bericht aus Bayreuth: Mama räumt auf in der Männer-Psychoküche

Wagnerfrauenfigur erlöst Wagnerheld, Version 2021 (Symbolbild)

Seien wir ehrlich, der Holländer hat es redlich verdient, dass ihm endlich mal eine Jungfrau den Stecker zieht, statt sich um seine Erlösung zu bemühen. DER FLIEGENDE HOLLÄNDER als Besuch des alten Sohnes – nur die Frauen spielen nicht mit. Dirigentin Oksana Lyniv und Senta Eilish-Sängerin Asmik Grigorian prägen die Premiere. Aber der Regie von Dmitri Tcherniakov, an der es ziemlich viel Kritik gab, konnte ich einiges abgewinnen. Mein ausführlicher Bericht dazu ist jetzt im VAN Magazin zu lesen.

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Quietschkommod: „Rheingold“-Premiere an der Deutschen Oper Berlin

Nach der Walküre kommt … Das Rheingold. Zumindest in diesen Zeiten, in denen die Pandemie Dramaturgien verwirbelt, als hätte Godard seine Finger im Spiel. Zu meiner eigenen Überraschung hat mir das kunterbunte Vorspiel der frei flottierenden Assoziationen besser gefallen als der vermurkste erste Tag. Ausführlich kann man meine Eindrücke im neuen VAN Magazin nachlesen.

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Liebesverwesend: Luca Francesconis „Quartett“ an der Staatsoper Berlin

Phallussymbol, verwesend

Alljährliche Aufführung eines zeitgenössischen Werks an der Staatsoper Unter den Linden – wo das Publikum schon vor Corona Abstand hielt und wo der vereinzelte Kenner sich bereits keinen Crémant leisten konnte, als die Bar noch geöffnet war. Mit Vereinzelung hat auch (wieder mal und natürlich, möchte man fast sagen) Luca Francesconis 2011 uraufgeführte Oper Quartett zu tun, deren zweite Vorstellung ich besuche. Denn nirgends ist der Mensch so vereinzelt wie in der Folgeaufführung eines Neue-Musik-Stücks nach der Premiere sowie im Auf und Ab des Liebesbegehrens.

Eine halbe Erdkugel aus Beton füllt die Bühne, eine Mischung aus Todesstern und Hodscha-Bunker; oder auch ein riesiger abgespielter Fußball (Bühne Barbara Hanicka). Endlich erfährt man mal, wie es im Inneren so eines abgespielten Balls aussieht: sehr trostlos, momentweise nicht unerotisch, aber viertelstundenweise langweilig.

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„Die Walküre“ an der Deutschen Oper Berlin

»Man darf als Regisseur den manischen Ring umwenden, verdrehen, auch bekämpfen und verspotten, ja zerstören – aber ihn kleinmachen?« — Mein Bericht zur neuen WALKÜRE an der Deutschen Oper Berlin ist fast so lang geworden wie das Werk selbst und seit heute im schönen neuen VAN Magazin nachzulesen.

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Nächtliche Notiz zur neuen „Walküre“ an der Deutschen Oper

Recht hat die bräutliche Schwester, wir werden dem Zyklus bis zum Schluss eine Chance geben.

Startschuss zum neuen RING DES NIBELUNGEN-Zyklus an der Deutschen Oper Berlin, pandemieausfallbedingt mit der WALKÜRE. Dass der Rheingold-Vorabend fehlt, dürfte aber nicht das Hauptproblem für Stefan Herheims Inszenierung sein. Eher, dass man ihr variiertes Einheitsbühnenbild (zahllose Koffer sowie ein Konzertflügel und große Wackeltücher) schon nach dem zweiten Akt einigermaßen über hat. Wie soll denn das bis zur GÖTTERDÄMMERUNG tragen? Auch an sich nicht uninteressante Kopfgeburten wie ein Gollum-artiges Söhnchen für Sieglinde und Hunding richten mehr zerfasernden Nervschaden als gegenlichtige Erkenntnis an. Aber wer weiß, was noch kommen wird. Und das Orchester klingt ziemlich gut. Und Lise Davidsen dürfte die stimmmächtigste Sieglinde aller Zeiten sein. Und Nina Stemme als Brünnhilde, ah, La Stemme: Die macht alles groß. Auch das zu klein Gedachte.

Jetzt erstmal schlafen und morgen frisch nochmal drüber nachdenken. Am Mittwoch erscheint dann mein ausführlicher Artikel über die neue WALKÜRE im VAN Magazin.

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Düstrentagshoffend: „Rheingold auf dem Parkdeck“ der Deutschen Oper

Wagner-Wahnsinn kündigt ein Plakat an der Beton-Mauer des Parkhauses hinter der Deutschen Oper Berlin immer noch an, und um die Ecke wird Entdeckerkurs verheißen. Um Rued Langgaards raren Antikrist aus den 1920er Jahren, der im März ohne Corona hier Premiere gefeiert hätte, kanns einem besonders leidtun. Und auch auf das neue Rheingold, das es als Höhepunkt der Wagner-Wochen und Beginn des neuen Ring-Zyklus im Juni hätte geben sollen, war man gespannt. Eine eingeschmolzene Fassung also nun. Unter strikten Bedingungen im Parkhaus der Oper – eher Lebenszeichen als Geniestreich, aber ein wohltuendes, für manche sogar lebensnotwendiges.

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Quarantäne-Qualen (2): Mein erstes Mal in Bayreuth

Schicko machen für Bayreuth, na klaro – aber vor allem Händewaschen nicht vergessen!

Nix Konzerte weiterhin. Weiß der Himmel, wann es wieder losgeht. Wenn, dann sicher erstmal Kammermusik, klein besetzt und klein besucht, das ist weniger infektiös. Und bis dahin? Konserve hören. Klavier üben. Lesen. Um die dürre Zeit zu übertändeln, hier nach der Wiederveröffentlichung meines letzten Bayreuth-Berichts nun noch mein Artikel über meinen ersten Besuch überhaupt bei den Bayreuther Festspielen.

Und über Lohengrin. In Neukölln gings los. Von Little Beirut nach Bayreuth.

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Wehe, Walhall in Quarantäne-Qualen (1)

Zurück vom Ring!, rief das verfluchte Covid-19, und also gehen die diesjährigen Bayreuther Festspiele den Rheinfall hinunter. Das muss wohl so sein, alles andere wäre unverantwortlich. Da es also im Sommer nichts über einen neuen Ring des Nibelungen zu schreiben geben wird, veröffentliche ich hier noch einmal meinen Zeitungsbericht über die Festspiele 2019 mit dem neuen Tannhäuser. Mein Bericht von 2018 über Lohengrin folgt dann in ein paar Tagen. Bleiben Sie gesund und munter!

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Anfangend: Kleine Bilanz zum Meyerbeer-Finale in Berlin

Giacomo Meyerbeer 1855

Was bleibt von dem fünfwöchigen Meyerbeer-Spezial an der Deutschen Oper Berlin, das dieses Wochenende ins Finale geht? Unter anderem die Erkenntnis, dass man Gutes nicht nur tun sollte, sondern auch laut drüber sprechen, poltern, protzen. Ups, völlig übersehen, völlig verplant, schrieb kürzlich auf Twitter eine von diesen paar Dutzend verrückten Opernliebenden, die das ganze Jahr kreuz und quer durchs Land reisen und die man mit der Zeit kennt, wenn man regelmäßig in die Oper geht und sich in sozialen Netzwerken darüber unterhält. Die Meyerbeer-Wochen in Berlin unter Radar, wie konnte das passieren?

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Ziegträumend: Meyerbeers „Dinorah“ an der Deutschen Oper

Grand opéra und Opéra comique (v.r.n.l.)

Entzückende Musik zu entdecken: Bevor es am Wochenende zum Abschluss des Giacomo Meyerbeer-Schwerpunkts an der Deutschen Oper Berlin nochmal die beiden Wuchtbrummen Les Huguenots und Le Prophète setzt, gibt es eine wunderbar leichtfüßige konzertante Aufführung des ulkigen Spätwerks Dinorah ou Le Pardon de Ploërmel. Und in dieser „Wallfahrt nach Ploërmel“ ist ein völlig anderer Meyerbeer kennenzulernen. Ein kurioses Amalgam aus Pastorale und Spukmärchen ist dieses Spätwerk von 1859, mit ebenso kurioser zentraler Symbol-Ziege.

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