Schwer gefasst: Cuarteto Casals spielt Beethoven und Matan Porat

Allmählich spricht sich auch in unserer ach so aufregenden Weltstadt mit Herz herum, dass das spanische (oder muss man jetzt sagen: katalanische?) Cuarteto Casals eins der aufregendsten, herzergreifendsten, besten Streichquartette der Welt ist. Denn im Vergleich zu seinem letzten Auftritt ist der Kammermusiksaal nicht mehr lediglich halbvoll, sondern nur noch viertelleer. Schwer gefasster Entschluss der Berliner! Ein paar weitere Konzerte auf diesem Niveau, dann quillt der Saal über wie ein gerappeltes Glas.

Das Konzert am Dienstag ist nämlich der Auftakt zu einem Zyklus, in dem das Cuarteto Casals je dreimal Beethoven mit je einem neuen Werk kombiniert. Den Auftakt macht der israelisch-berlinerische Kompianist und Ponist Matan Porat. Der ist wahrhaft Pianist und Komponist in einem: 2013 legte er eine CD vor, in der er von einem kleinen Scarlatti-Motiv ausgehend Stücke von Bach und Couperin bis zu Kurtág und Porat so anordnete, dass ein eigenes Werk entstand (in dem man schon mal zweifelt, wo Boulez aufhört und Mozart beginnt): Variations on a theme by Scarlatti.

Im Kammermusiksaal ist Matan Porat jetzt nur als Komponist zu erleben. Aber was heißt da nur? Denn in Porats zweitem Streichquartett Otzma, das vom Cuarteto Casals bereits in der Wigmore Hall aufgeführt wurde, stecken mindestens fünf Werke. Die im hebräischen Titel steckende „Kraft“ fliegt dem Hörer als angesengte Bratschenhummel entgegen, die die anderen Instrumentenviecher ansteckt. Das geht irgendwann in Dauertrillerflug und glissandiert in die Höhe, wo man die Hummel explodieren zu hören fürchtet; stattdessen erlebt man, wie sie ihre irdische Hülle abwirft und sich in körperlose Flageolettklänge verwandelt. Der Sphärenklang verdickt sich, rutscht abwärts, explodiert dann doch, die Hummel veitstanzt im Quadrat. Schwer kantables Unisono begegnet, helle Flitzefiguren, maximal in Höhe und Tiefe gespreizte Akkorde.

Unendlich viel gehört, nichts verstanden. Gretchenfrage bei jedem Stück neuer Musik: Wie hältst du’s mit dem Wiederhören? Ja, ich will.

Unendlich viel hören, nichts verstehen gilt, wenn der Konzertgänger ehrlich ist, auch bei Ludwig van Beethoven. Zumindest dem späten; wäre auch bedenklich, wenn man ihn irgendwann verstände. Oder verstünde? Das Cuarteto Casals kombiniert das frühe B-Dur-Quartett op. 18,6 (1800) mit den Letztwerken in a-Moll op. 132 und F-Dur op. 135 (1825 und 1826).

In diesen drei Werken ist die ganze Vielfalt des Ensembles zu erleben, auch dadurch, dass die beiden Geigen zwischendurch die Plätze tauschen. Abel Tomàs, der insgesamt das soziale und kommunikative Zentrum des Quartetts zu sein scheint, spielt im opus 18,6 die erste Geige. Er wagt den gewitzteren Klang, während Vera Martinez-Mehne, die in 132 und 135 die Primaria macht, den „schöneren“ Ton hat. Risikofreudig aber spielen sie beide. Martinez-Mehnes Trittsicherheit in den allerhöchsten Drahtsaitenakten ist überwältigend, ihren gläsernen Klang ganz oben behält man lange im Ohr.

Das scheint insgesamt fürs Cuarteto Casals zu gelten: ein, wenn man so will, eher traditioneller schöner Klang, der aber nichts mit Schönklang aus Sicherheitsbedürfnis zu tun hat, sondern aus Können resultiert und immer der Interpretation dient. Selten ein Quartett gehört, dass aus vier so spürbar individuellen Charakteren besteht und doch jederzeit als ein Organismus funktioniert. Die Streichquadratur des Kreises. Wenn der Cellist Arnau Tomàs intensive melodische Linien leuchten lässt, dass man Pablo Casals im Grabe wonnig seufzen hört, oder der Bratscher Jonathan Brown kleinen Figuren hintergründige, antreibende Druckkraft verleiht (etwa in der eröffnenden Floskel von opus 135), geschieht das nie zur eigenen Profilierung, sondern immer um der vielen Klangfarben und einer markanten Interpretation willen.

Das sind Beethoven-Interpretationen, deren intellektuelle und musikantische Spannkraft nie nachlässt. Das Quartett zieht Klänge auseinander und lässt sie zusammenschnellen, singen, selten auch explodieren: feurige Musik, aber ohne Dauerfeuer, sondern mit kontrollierten Zündungen. Otzma!, würde Beethoven jubeln, wenn er Hebräisch spräche.

Bei der Frage, ob der Schwer gefasste Entschluss aus opus 135 eher tief bedeutungsvoll oder umwerfend witzig zu verstehen sei, steht das Cuarteto Casals wohl eher auf der bedeutungsschweren Seite vulgo Saite – die sich dann aber in der Pizzicato-Episode kurz vor Ultimo umso luftiger in Heiterkeit auflöst. Oder?

Und dass die Musiker den Heiligen Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit, in der lydischen Tonart aus opus 132 spielen (mit federnden Aufschwüngen statt kerniggesunder Rekonvaleszenz), ist nach dem peinlichen Hustenquadrupelett des schwer angefassten Publikums zwischen Adagio und Scherzo im opus 18,6 bitter nötig. Entschuldigung und Danke für die sonnige Nachsicht gegenüber den nebelschwadengeplagten Hörerbronchien.

Schwer angefasst am Herzen ist man nach diesem Abend! Weitere Konzerte des Cuarteto Casals am 25. Januar und 4. Mai 2018. Nächste Quartett-Abende der Konzertdirektion Adler am 14. 11. (American String) und 28.11. (Artemis).

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