Buntstrukturiert: Yevgeny Sudbin beim Klavierfestival

800px-Retrato_de_Domenico_ScarlattiDomenico Scarlatti fiele wahrscheinlich die Kinnlade auf den Jabot, wenn er im Konzerthaus säße und seine Nachbarin fragte, von wem denn diese hinreißenden Stücke seien, die der hagere junge Virtuose da spiele: Nocturnes, Fantasien, Etüden, unendlich nuanciert und durchgestuft in Klangfarben, Dynamik, Agogik und dabei ungeheuer dezent, von ferne an ein Cembalo erinnernd.

Fünf Sonaten von Domenico Scarlatti, wäre die Antwort der Nachbarin, auf einem modernen Konzertflügel gespielt.

Der Konzertgänger hat sieben Eide geschworen, nicht mehr über den brillanten Yamaha-Flügel zu granteln, der bei mehreren (nicht allen) Konzerten des höchst verdienstvollen Berliner Klavierfestivals zum Einsatz und dem Vernehmen nach bei Pianisten wie Publikum bestens ankommt. Der Musik von Scarlatti, dem mit Abstand ältesten Komponisten im Programm von Yevgeny Sudbin, bekommt dieser Flügel paradoxerweise besonders gut: weil er, wenn’s nun ein moderner sein soll, den Tönen im Diskant nach oben und hinten ein klein wenig abschneidet (das Süße, Silbrige) und dadurch jede Romantisierung unterbindet. Und weil bei Scarlatti die höchsten Oktaven nun mal nicht vorkommen.

Der Höhepunkt des Programms, Sudbins Scarlatti ist ein Traum.

Zwiespältiger ist die Romantisierungsunterbindung bei den Romantikern Peter Tschaikowsky und Franz Liszt, dem toxisch-avantgardistischen Spätromantiker Alexander Skrjabin und dem Vielzuspätromantiker Nikolai Medtner. Aber atemberaubend strukturiert klingt der Flügel und ist damit das richtige Instrument für das atemberaubend strukturierte Spiel von Sudbin, der in sehr jungen Jahren in Berlin-Spandau lebte und heute im angelsächsischen Raum viel bekannter ist als hierzulande.

Skrjabins eröffnendes Klavierstück Vers la flamme op. 72 (1914) ist ein herrlich zündschwefliger Klanggrund für das folgende Programm: als unbedingt bereicherndes Gran Gift in zwei Nocturnes und den Stücken Juni und November von Tschaikowski und als harmonischer Ohrenschärfer für die Samt und Seide aufschlitzende Modernität von Liszts Harmonies du soir.

Und Nikolai Karlowitsch Medtner wird sowieso viel zu wenig gespielt. Kurz, bündig, tragisch die abschließende c-Moll-Sonate op. 39,5 von 1918-20. Mit einem reinen Medtner-Programm ließen sich die Konzertsäle dieser Welt wohl leider noch leichter leeren als mit einem reinen Skrjabin-Programm. Sudbins Programm zum Auftakt des Klavierfestivals aber: herrlich bunt! Wenn auch mit 90 Minuten (Pause eingerechnet) recht kurz, noch ein Medtner und noch ein Skrjabin hätten es gerne sein dürfen.

Oder noch ein Scarlatti:

Kein Mangel an Hauptwerken steht beim nächsten Konzert des Klavierfestivals am Freitag zu befürchten, da spielt Christian Zacharias zwei Beethovensonaten, eine Schubertsonate und die Davidsbündlertänze.

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3 Gedanken zu „Buntstrukturiert: Yevgeny Sudbin beim Klavierfestival

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