Konzertgänger auf Reisen: DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG bei den Bayreuther Festspielen

„Das Judenthum in der Musik, wie es dem Richard Wagner willkommen ist. Wenn es nämlich 25 Gulden für einen Sperrsitz bezahlt.“ Karikatur in der Zeitschrift Kikeriki, 1872

In ihrer Fokussierung auf die Person Wagner und dessen Judenhass mag Barrie Koskys eindrucksvolle Inszenierung der MEISTERSINGER VON NÜRNBERG, die am dritten Tag der Bayreuther Festspiele wiederaufgenommen wird, angreifbar sein. Aber sie packt einen und lässt nicht mehr los – und sie gewinnt noch, wenn man sie zum zweiten Mal sieht, anders als der Lohengrin am Vortag. Riesentheater ist das, ein Meilenstein, wie man es auch, aus ganz anderen Gründen, vom neuen Tannhäuser sagen wird, diese Prognose sei mal gewagt (mehr dazu in der heutigen FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG – lesbar am Kiosk oder für 45 Cent bei Blendle).

Schon erstaunlich, dass die Sänger des Lohengrin und der Elsa keine zwanzig Stunden nach dem letzten Weh und Ach in Brabant als Stolzing und Eva auf der Bühne stehen! Aber Klaus Florian Vogt und Camilla Nylund wirken nicht dehydriert, sondern hinterlassen noch günstigere Eindrücke als im Lohengrin. Hat man sich Vogt in dieser seiner Lebensrolle vielleicht überhört, ist sein Stolzing überraschend komplex, auch souverän komisch, selbst wenn er gelegentlich wie Schlagergesang tönt.

Aber die beiden werden in den Schatten gestellt von zwei Sängerpersönlichkeiten, vor denen man anbetend niederknien möchte: Michael Volle als Hans Sachs und Johannes Martin Kränzle als Beckmesser, Wunder an Einfühlung und Differenzierung und nicht zuletzt exemplarischer Textverständlichkeit. Ein wundersames Zeichen von Kränzles Kunst ist es, dass man über seinen Beckmesser nicht lacht – nicht weil er sich nicht aufs Komische verstünde (so wie die ganze Inszenierung mitunter furchtbar komisch ist), sondern weil einem das Lachen sonstwo steckenbleibt vor Mitfühlen und Beklemmung.

Sachs‘ Wahn-Monolog im dritten Aufzug ist vielleicht die ungeheuerste Passage in diesen Festspielen so far und sein Ausruf Weiß Gott, wie das geschah, dem das Orchester eine endlos scheinende Pause folgen lässt, eine Art Dreh- und Angelpunkt von Koskys Regie: Diese Meistersinger schlagen den Bogen von der Villa Wahnfried bis vors Nürnberger Kriegsverbrechergericht (mehr zur Inszenierung im Bericht vom letzten Jahr). Der Transitraum zwischen Wahnfried und Gericht zu Beginn des zweiten Aufzugs ist etwas zäh, weil die Johannisnacht-Handlung sich im Nirgendwo nur mühsam zurechtfindet. Aber es ist eben alles aufs Finale des zweiten Aufzugs ausgerichtet. Da starrt uns aus unseren innig geliebten (und wir fügen immer pflichtschuldig hinzu: jaja, natürlich auch problematischen) Meistersingern die unverhohlene Fratze des Judenhasses an, eine riesige Judenkarikatur nach „Stürmer“-Art steigt als Ballon auf. Es ist unerträglich. Und das Kuddelmuddel der Johannisnacht wird zur Massengewalt gegen den verachteten Beckmesser, kein abstrakter „Wahn“, sondern ein Pogrom.

Worauf beziehen sich die Buhrufe am Ende des zweiten Aktes? Wohlwollende Interpretation: Beckmesser derart als „Judenkarikatur“ zu sehen sei doch eine undifferenzierte Verkürzung des komplexen Komplexes Antisemitismus bei Wagner. Weniger wohlwollende Interpretation: „Wir lassen uns unser Bühnenfestspiel nicht verjuden.“

Günther Groissböck als Pogner singt nicht weniger exemplarisch als Volle und Kränzle, nur ist die Rolle natürlich nicht so tragend. Daniel Behle singt den David und Wiebke Lehmkuhl eine überkandidelte Magdalene. Das Orchester unter Leitung von Philippe Jordan beginnt mit einem im besten Sinn turbulenten Vorspiel: tatsächlich ein Lustspiel, wenn auch ein exzessives, krasses, aber eben keine pompöse Repräsentation. Manchmal poltert es freilich ein bisschen sehr, und im zweiten Aufzug könnte man sich die farbigen, duftigen Züge stärker ausgeprägt vorstellen. Auch der Chor ist nicht übel, doch nicht so imposant wie im Lohengrin. Dennoch fügt sich alles in allem der hibbelige, pointierte Ansatz mustergültig zu dieser eindringlichen Meistersinger-Sicht, nach der man das Stück nie mehr erleben wird wie zuvor.

Nachtrag: Einige bedenkenswerte Einwände (die ich nicht teile) gegen Koskys Inszenierung machte Matthias Lachenmann im Premierenjahr 2017.

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7 Gedanken zu „Konzertgänger auf Reisen: DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG bei den Bayreuther Festspielen

  1. Danke für den sehr schönen Artikel in der FAS!
    Wieder habe ich den Gang zur Tankstelle des Vertrauens versäumt und habe dann heute bequemerweise Blendle benutzt.
    Ist das für Sie (und die Zeitung) vergleichbar mit einem Zeitungskauf? (Nur, falls Sie es wissen und auf so Schnödes Lust haben vor lauter Oper.)

  2. Apropo Behle,
    den Namen lese ich öfter, sang ja auch im Tannhäuser, wie der mit der Stimme die Tage in München den Stolzing bewältigen will, ist mir ein Rätsel

      • Hatte ich schon überlegt, was kommt denn in München noch auf Sie zu? Ich nehme mal Agrippina und der goldene Westen oder wieder Meistersinger?
        Im Übrigen mal ne Frage, warum bekomme ich bei Ihnen, im Gegensatz zu Schlatz, nie mit, wenn ein neuer Kommentar erscheint, obwohl die Frage immer angeklickt wird

        • Ihr Tipp war richtig, wie Sie gesehen haben: Agrippina & Goldener Westen. Nochmal Meistersinger hätt ich gern, aber ging sich leider nicht aus.
          Das Problem mit der Kommentar-Benachrichtigung, keine Ahnung. Ich versuche, mich mal schlau zu machen.

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