Das ist mal was anderes von der deutschen Autoindustrie als Diesel, Diesel, Diesel: Licht, Luft und freier Atem mit der Audi Jugendchorakademie. Dieses verdienstvolle Projekt hat talentierte junge Sänger nicht nur nach Montréal oder in die Elbphilharmonie (mit Kent Nagano) geführt, sondern nun schon zum vierten Mal mit der Akademie für Alte Musik in die Berliner Gethsemanekirche. Zuletzt vor zwei Jahren mit der h-Moll-Messe – nun gabs Johann Sebastian Bachs Johannespassion. Wieder vorzüglich.
Ein Chor aus 60 Stimmen ist in einem so weitläufigen Raum gerade das Richtige, zumal wenn man im abgelegenen Seitenschiffchen sitzt, wo man gelegentlich von den akustischen Brosamen lebt, die aus dem Hauptschiff fallen. Die Wucht des Herr, unser Herrscher springt einen dennoch an, ohne dass der Leiter Martin Steidler zu sehr aufdrehen würde.
Die akkurate Gestaltung des Chorgesangs geht meilenweit über jugendliche Begeisterung hinaus. In welch kunstvoller Dissonanz das Wort Sünden flirrt und schwirrt, ist ebenso eindrücklich wie die klaren Akzente oder auch Gift und Gehässigkeit in den Turba-Chören. Besonders beklemmend gerade in der intensiven, kontrastreichen Gestaltung durch solche jungen, frischen Stimmen wirken etwa 16b (Wäre dieser nicht ein Übeltäter, wir hätten dir ihn nicht überantwortet) oder 21 b (Sei gegrüßet, lieber Jüdenkönig). Oder der beängstigende tänzerische Schwung in Lasset uns den nicht zerteilen, sondern darum losen, wes er sein soll. Und die solistisch hervortretenden Sänger, etwa der starke Pilatus, überzeugen durchweg.
Man muss schon den Maßstab der Berliner Chöre von Weltrang anlegen, um die eine Undeutlichkeit hier oder die andere Überdeutlichkeit dort zu monieren. Aber das wäre ein schiefer Vergleich; so als wollte man ein Fahrzeug-in-progress wie das Automobil an etwas Vollendetem wie einem Fahrrad messen.
Die Akademie für Alte Musik ist in ihrer zurückhaltenden, fast bescheiden wirkenden Brillanz der ideale Partner, um die Qualitäten des Chors aufblühen zu lassen. Das Niveau zeigt sich naturgemäß am deutlichsten im solistischen Zusammenspiel mit den Sängern in den Arien, aber am nachdrücklichsten im sensiblen Hinhören des ganzen Ensembles auf die einzelnen und chorischen Stimmen.
Marie-Sophie Pollak (Sopran), Sophie Harmsen (Alt) und Matthias Winckhler (Bass) sind prima Solisten. Herausragend ist der tief berührende Tenor Benedikt Kristjánsson: eine Stimme von manchmal fast androgyner Schönheit, die noch in der Schilderung der größten Ungeheuerlichkeiten höchste Anmut bewahrt, und dabei jedes Wort so intelligent gestaltet, wie man es sich nur wünschen kann. Was für eine Verbindung von Sinn und Sinnlichkeit! Immer wieder führt Kristjánsson seine Stimme bis an den Rand des Verstummens, so dass aus der entsetzten Stille der Chorgesang mit um so größerer Wirkung hervortreten kann. Der Evangelist lässt uns die Luft anhalten, der Choral lässt uns aufatmen. Auch hier also eine ideale Verbindung.