20.12.2015 – Adventsschocker: Yefim Bronfman spielt Prokofjew

Prokofjew ist nicht gerade Schubert. Aber wenn inmitten der irren Tonkaskaden von Sergej Prokofjews 7. Klaviersonate B-Dur ein bittersüßer Walzer einsetzt, als wäre nichts gewesen, denkt der Konzertgänger doch für einen Moment an Schubert. Andante caloroso: als warm ist der Mittelsatz der Siebten deklariert, das Collins-Wörterbuch schlägt auch kälteunempfindlich vor, bei Prokofjew keine schlechte Option. Und schnell geht es wieder vorbei mit Schubert: Immer wieder kippt die Walzerwärme ins Giftige und Lärmende, selten hat ein Komponist einen schönen Einfall so malträtiert. Bei der Pendelbewegung gegen Ende des Andante klirren die Saiten, ehe die berühmte Schluss-Toccata Precipitato auf den Hörer einstürzt. Heftiger Klavierniederschlag zum vierten Advent.

Kaum vorstellbar, dass man Prokofjew besser spielen kann als Yefim Bronfman, im Allgemeinen sowieso und speziell an diesem Sonntagvormittag im Schillertheater. Es ist die zweite von drei Matinées, in denen der russisch-usbekisch-amerikanisch-israelische Pianist sämtliche Prokofjew-Sonaten spielt. Bronfman ist (nicht unähnlich Rudolf Buchbinder) ein freundlich wirkender, rundlicher Herr, der etwas von einem menschenfreundlichen katholischen Dorfpfarrer hat. Kaum zu fassen aber, wie grenzenlos beweglich er ist, wenn er zu spielen beginnt! Nur kurz hadert der Konzertgänger damit, dünnere Finger als Bronfman zu haben, aber schon bei viel leichteren Stücken nicht die richtigen Töne zu treffen. Denn Bronfmans Meisterschaft erschöpft sich selbstverständlich nicht im Treffen der richtigen Töne. Das wird längst vor dem Dur-Inferno des Precipitato deutlich, das Bronfman mit gewaltiger Wucht und größter Klarheit spielt, doch ohne Kraftmeierei. Der Eröffnungssatz der Siebten etwa mit der Bezeichnung Allegro inquieto erinnert bei manchen technisch brillanten Pianisten (etwa Bernd Glemser) fast an eine Studie für player piano von Nancarrow, gestanzte Musikmechanik. Bei Bronfman lebt, atmet, berührt diese Musik, ohne nur einen Funken von ihrer Brillanz zu verlieren.

Bronfman spielt die Siebte nicht als mittlere der drei Kriegssonaten 6 bis 8. Sein Konzert beginnt mit der Sechsten, stellt dann aber die Fünfte in die Mitte. Das ist insofern interessant, als die 5. Sonate C-Dur bereits Anfang der 20er Jahre in Paris entstanden ist und den frivolen Apollinismus der Groupe de Six nachahmt. Zwischen den beiden Ungetümen der Sechsten und Siebten wirkt diese Sonate zunächst etwas harmlos, aber es wird schnell ihr Brodeln deutlich, ihre maßlosen Steigerungen, ihre Schärfe: Prokofjew war nicht gerade Poulenc. Bronfman spielt diese Sonate so klar, dass es fast wehtut.

Umgekehrt stechen in der 6. Sonate A-Dur die klassizistischen Züge stärker hervor, nicht nur in der viersätzigen Anlage. Bronfman spielt klar disponiert – eine Kriegssonate bleibt die Sechste trotzdem: Wenn das Thema des Allegro-moderato-Kopfsatzes im Feuer des Vivace-Finales wiederkehrt, die Fäuste auf die Tastatur knallen, dann ist das ein wahrer Adventsschocker; ohne jedes Zudröhnen, das die Akustik des Schillertheaters (zugegeben kein Obertonparadies) ohnehin verbietet.

Zwei Zugaben spielt der freundlich wirkende, schockierend virtuose Herr Bronfman am Ende noch. Man fürchtet, nach dem Toccata-Sturm der Siebten müsse der Steinway doch heftig verstimmt sein, aber auch Robert Schumann klingt bei Bronfman wunderbar… schockierend schön.

Den dritten und finalen Prokofjew-Schocker gibt es dann vier Wochen nach Ostern, am Vormittag des 24. April 2016: mit der Achten als letzter Kriegssonate (für Swjatoslaw Richter die reichste aller Prokofjewsonaten) und der schockierend schlichten Neunten.

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3 Gedanken zu „20.12.2015 – Adventsschocker: Yefim Bronfman spielt Prokofjew

  1. Erstens kenne ich die Sonaten kaum, zweitens hatte ich Bronfman nur in Klavierkonzerten mit Orchester gehört uns drittens erschien mir bei Brahms 2. Klavierkonzert der erste Satz zu wenig lyrisch, durchgeformt, detailreich. Auch bei Bartók Klavierkonzerten fehlte mir die letzte Feinheit. Ähnliche Einschränkungen vermutete ich hier.
    Aber von „größter Klarheit, doch ohne Kraftmeierei“ trifft es.

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