Es gibt nur einen Biber, und der heißt nicht Justin, sondern Heinrich Ignaz Franz. Die in Papua-Neuguinea geborene Eva-Christina Schönweiß hat in der gotischen St.-Nikolai-Kirche in der Altstadt Spandau in drei Konzerten Bibers um 1675 geschriebene Rosenkranzsonaten vorgestellt, einzigartige „Höhepunkte der Violinliteratur“ (Michael Heinemann), die kaum je gespielt werden.
Der Seltenheitswert mag auch praktische Gründe haben, denn die Saiten der Geige müssen in fast jeder der 16 Sonaten umgestimmt werden, eine nicht unerhebliche Fummelei:
Noch gravierender als die technische wird aber wohl die spirituelle Hürde sein, so dass der hoffnungsvolle Nachwuchsvirtuose doch lieber immer wieder mit den wohlig vertrauten Geheimnissen von Bachs Chaconne brilliert.
Und wirklich erfüllt Schönweiß‘ drittes und letztes Konzert am Spandauer Reformationsplatz den Tatbestand der Verführung zur Jesuitenmystik. Nach den freudenhaften und den schmerzhaften stehen am Sonntag nach Himmelfahrt nun die glorreichen Mysterien auf dem Programm: Auferstehung, Himmelfahrt, Pfingsten, Mariä Himmelfahrt und Krönung der Jungfrau.
Schönweiß, Stimmführerin der zweiten Geigen im DSO, hat sich zur Verstärkung des Continuo den Solocellisten Mischa Meyer mitgebracht. An Orgel und E-Cembalo (das besser klingt, als man denken würde) ist Arno Schneider der dritte im Bunde.
Ob Meyer und Schönweiß, beide mit Barockinstrumenten und -bögen, am Vorabend bei der Alpensymphonie mitgespielt haben, mit der das DSO unter Metzmacher die Philharmonie (sicher grandios) geflutet hat? Wie nichtig scheint solche Musik angeohrs der erlesenen Rosenkranzsonaten. Auf Englisch heißen sie Mystery Sonatas, kein schlechter Titel, findet auch der Sohn des Konzertgängers und ist deshalb mit nach Spandau gekommen; zumal überdies Muttertag ist und seine Mutter seit einiger Zeit häuslichen Kult um Bibers Rosenkranzsonaten treibt. (Da ihm ein sechsstündiges Fußballturnier in den Knochen steckt, schläft er trotzdem mitten im Kommen des Heiligen Geistes ein.)
Das Violinspiel ist sicht- wie hörbar Schwerstarbeit, doch Schönweiß meistert die komplexe Aufgabe bezwingend gut und nimmt es sogar auf sich, dem Publikum aufschlussreiche Erläuterungen zu geben: etwa indem sie zeigt, dass im Auferstehungs-Mysterium d- und g-Saite überkreuz gelegt sind (siehe Nr. 11 in der oben abgebildeten Skordatur-Liste).
Trotzdem kann man sich auch einfach am geheimnisvollen, überwältigend schönen Klang der Sonaten berauschen. Andererseits wird das Verständnis dadurch erleichtert, dass Biber, für den heutigen Hörer vielleicht irritierend, seine mystischen Klangvisionen und -symbole oft in die bekannte Form barocker (Kunst-)Tänze gekleidet hat; so hören wir zur Himmelfahrt etwa eine Allemande und Courante, zu Pfingsten eine Gavotte und Gigue, zur Krönung Mariens eine Sarabande. Dazu immer wieder herrliche Arie und Canzone.
Sehr einleuchtend ist der Einfall, den religiösen Gehalt der Musik auch dadurch sinnfällig zu machen, dass Schneider auf der Orgel Abschnitte aus der Missa della Domenica von Girolamo Frescobaldi zwischen die einzelnen Sonaten stellt. Schade hingegen, dass Schönweiß aus übergroßer Rücksicht auf Publikum und Mitspieler den krönenden Abschluss des ganzen Zyklus weglässt, Bibers neunminütige, von der Violine unbegleitet zu spielende Passagalia. Aber das wäre ja in einer unbedingt zu wünschenden weiteren Aufführung der Rosenkranzsonaten nachzuholen. Denn jeder Musikliebende, der sie nicht kennt, muss sie kennenlernen; und wer sie kennt, wird sie immer wieder hören wollen.
So lange trösten wir uns mit Rosenkranzmystik aus dem Internet:
Feine Musik.
Die arme Alpensymphonie, vollkommen wehrlos Ihrem Groll ausgeliefert
Man braucht halt Feindbilder.