8.4.2016 – Schwarzbarkig: Mieczysław Weinberg im Konzerthaus

Gefühlte Deutschlanderst- und Weltuntergangsaufführung.

Aber es stimmt nicht, dass Mieczysław Weinbergs Sinfonie Nr. 5 f-Moll op. 76 (1962) am Freitagabend hierzulande zum ersten Mal gespielt würde. Es war sogar dasselbe Orchester, auch wenn es damals nicht Konzerthausorchester hieß, sondern Berliner Sinfonieorchester, das 1963 der Hauptstadt der DDR einen besonderen Kunstgenuss bescherte (Neues Deutschland vom 15.2.1963), und zwar unter Leitung des Dirigenten Kirill Kondraschin, dem damals der 20jährige Thomas Sanderling assistierte, der jetzt 73 ist und Weinbergs Sinfonie als Berliner Zweitaufführung im Konzerthaus dirigiert.

Und die Welt geht auch nicht unter bei diesem düsteren Werk, obwohl es sich heftig so anfühlt, vom gruselig wispernden Beginn an, zu dem sogar das ungezogene Tuscheln des Publikums passen will: Ein omnipräsentes Pendeln wird im Lauf des unerbittlichen Kopfsatzes immer massiver und stählerner. Ein nachtmusikhaftes Adagio sostenuto, das mit tiefen Harfen und Vogelrufen an Mahlers Siebte erinnert. Ein Gespensterscherzo und ein Finale voll Verzweiflung, Traurigkeit, Resignation. Ein ungreifbar jüdisches Lied von der Erde meint man da zu hören, doch ohne Silberbarke; zwischendurch ist es auch ein Walzer von der Erde, aber wo bei Mahler die lange Linie und die Stimme der Sängerin die musikalische Einheit sichern, reihen sich in diesem zerhackstückten Gesang Celesta, Harfe, Cello, Geige, Oboe, Klarinette, Flöte, Horn, Fagott, gestopfte Trompete für je einige Töne aneinander.

Dass die Solisten des Konzerthausorchesters in diesem Trümmerdefilee ihre große Klasse beweisen, verhindert nicht ein erhebliches Aus-dem-Saal-Defilieren des ärgerlich unruhigen Publikums. Was nicht an der Qualität dieser Musik oder ihrer Darbietung liegt, sondern vermutlich an ihrer im Vergleich zu Schostakowitschs Maskenspielen krass uncamouflierten Negativität. Trotzdem erstaunlich, dass ein Publikum, das Schostakowitsch und Mahler liebt, bei Weinberg in Scharen entfleucht, der doch offenhörlich kein Epigone, sondern ein Geistesverwandter dieser beiden war (wie Jens Schubbe im Programmheft ganz richtig schreibt). Der Schluss von Weinbergs Sinfonie erinnert, wie ein älterer Besucher feststellt, deutlich an den morbide tickenden und klappernden Schluss von Schostakowitschs letzter Sinfonie – die rund zehn Jahre nach Weinbergs Fünfter entstand. Die Einflüsse flossen anscheinend in beide Richtungen.

Aber Weinberg (1919-1996) hat danach noch 17 weitere Sinfonien komponiert, statt unterzugehen. Es ist zu hoffen, dass dem Berliner Publikum weitere Trübsal blüht, zumal es seit einem Jahr sogar eine Internationale Weinberg-Gesellschaft gibt. Auch das DSO unter Tugan Sokhiev hat sich ja schon um Weinberg verdient gemacht; auf eine Oper wie Die Passagierin in Bregenz, Karlsruhe und Frankfurt oder zuletzt Der Idiot in Mannheim wagt man kaum zu hoffen.

Bis dahin kann man sich tiefer in Weinbergs Fünfte einhören, hier in der Aufnahme des Polnischen Radiosinfonieorchesters unter Gabriel Chmura:

Um so trüber sann Weinbergs Sinfonie, als ihr im Konzerthaus der strahlende Glanz von Beethovens Violinkonzert D-Dur  vorausging. Routiniert, aber ohne den letzten Dampf im Kessel begleitete das Orchester den (kurzfristig eingesprungenen) jungen tschechischen Geiger Josef Špaček, mit brillanter Fritz-Kreisler-Kadenz; ein paar mehr Widerhaken dürfte es gern geben, wenn dieser ausgezeichnete Musiker wieder nach Berlin kommt.

Das gleiche Programm noch einmal am heutigen Samstagabend.

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6 Gedanken zu „8.4.2016 – Schwarzbarkig: Mieczysław Weinberg im Konzerthaus

  1. Am Samstag war das Publikum besser drauf; Abgänge im zweiten Teil sind mir wenigstens nicht aufgefallen. Ein paar Ratlose verweigerten den Schlussapplaus, aber das fiel nicht ins Gewicht.
    Weinbergs düstere 5. bekam eine würdige Aufführung; hätte nicht gedacht, das Stück zu Lebzeiten mal live zu hören. Dickes Danke an T. Sanderling und das Orchester.

    Natürlich kein Vergleich zur begeisterten Publikumsreaktion vor der Pause, für die Spacek sich mit der Sarabande aus der 2. Partita bedankte.

    • Freut mich zu lesen, dass das Publikum am Samstag diese Musik besser verkraftet hat. Ratlosigkeit ist ja in Ordnung, vielleicht sogar angemessen, aber das große Gehen am Freitag war schon ärgerlich.

      In der Tat ein großes Verdienst, diese Symphonie aufzuführen. In der FAZ vom 11.4. war eine schöne Besprechung von Eleonore Büning (nicht online). Haarsträubend hingegen ein Artikel in der Jungen Welt, der sogar Weinbergs „Mitarbeit in einer staatsfeindlichen Gruppierung“ anprangert…

      Ob es diese Symphonie nochmal gibt, wird man sehen, aber generell wird ja Weinberg jetzt öfter mal gespielt.

      Spaceks Zugabe am Freitag war die gleiche.

  2. Ich hatte die damals nicht gesehen, und Freunde, das Publikum, das konzentriert war, wie selten und ich, waren wieder total aus dem Häuschen, vor allem, was die musikalische Seite betraf. Die sog. Inszenierung störte nicht, was ja heute auch schon positiv ist.
    Weinberg, Stoff ja sehr, die Mittel sind sehr interessant und annehmbar

  3. Wenn die Musik ähnlich war, wie die in der Oper, war es ja ein ziemlicher Brocken. Hatte Teile der Oper im Fernsehen gesehen, war schon beeindruckend, aber auch sehr schwer verdaulich. Da ist ja die Danae, die ich in zwei Stunden höre, wohl konsumierbarer

    • Eine Frage des Magens! Mir hat eher die Danae vor einigen Jahren auf selbigen geschlagen, erst recht in dieser vergorenen Harms-Inszenierung.

      Aber bei Weinbergs Passagierin sind doch eher Stoff und Atmosphäre schwer verdaulich, weniger die musikalischen Mittel, oder?

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