7.9.2016 – Sphärisch: Rued Langgaard und 1. Akt Walküre mit der Deutschen Oper beim Musikfest

harnonicesmundiNur ca. 2,37 % der Besucher sind wegen Rued Immanuel Langgaards Sphärenmusik in die Philharmonie gekommen, darunter der Konzertgänger; aber der 1. Aufzug von Richard Wagners Walküre ist auch ganz hübsch. Wenngleich Tomi Mäkelä im sphärisch mäandernden Programmheft schreibt:

DIE WALKÜRE ist im Vergleich zu Langgaards „Sphärenmusik“ leichte Kost.

Word! Aber bei einer Luxusbesetzung mit Peter Seiffert, Anja Harteros und Georg Zeppenfeld darf man zumindest von Feinkost sprechen, Delikatesse, Comestibles, hochergötzlicher Ohrenschmaus.

Wälsungen-Ladies first: Eine schöner gesungene Sieglinde als die von Anja Harteros ist kaum denkbar, auch keine empfindsamere, verletzlichere. Wunderbar, wie sie ihr warmes Timbre metallisch verhärtet, kaum dass Hunding zur Tür hereinkommt. Ganz unüberzeugend scheint der böse Gatte aber nicht zu sein, denn Sieglinde klingt keineswegs nur, wie Wagner vorschrieb, unbefangen und theilnamsvoll, sondern unsicher, schwankend, ja misstrauisch, als sie den Fremden fragt: Gast, der du bist, wüsst‘ ich gern. Große Differenzierungskunst durch kleinste Nuancen.

Trotz häufigen Blickkontakts mit Seiffert wirkt Harteros dabei auf ganz eigentümliche Weise in sich selbst versunken: tatsächlich, wie einst im Bache, im Gegenüber ihr eigen Bild erblickend. Auf ganz andere Weise verkörpert Peter Seiffert höchste Konzentration, sehr physisch, anfangs erstaunlich nervös, mit leitmotivisch irrlichterndem Blick. So gelangt er nach kurzer Anlaufzeit zu glasklarer Diktion, verschluckt nicht den geringsten Laut, singt die Maid-Erzählung, als wär’s ein Kinderspiel, leicht wie ein Schlager; und lässt seine Stimme im Nun weißt du, fragende Frau, warum ich Friedmund – nicht heisse betörend mit dem Orchester verschmelzen, mit einer berührenden Brüchigkeit ausgerechnet im Wort Frau. Schier endlos dann die Wälse-Rufe, blühend und licht das Liebe- und Lenz-Lied. Last but not least, wie Seiffert nach dem Konzert am Rosenbukett riecht, ist große alte Tenorschule.

Das Wagnerglück vollkommen macht Georg Zeppenfeld, die große Entdeckung der diesjährigen Bayreuther Festspiele, als ein Hunding ohne Finstermannkarikatur, ohne jedes Pressen und Näseln, eine menschliche und nachvollziehbare Gestalt.

Donald Runnicles gehört nicht zu den Dirigenten, die, wie Karajan so eklig gesagt haben soll, Blut aus dem Taktstock spritzen lassen; wofür ihn manche schmähen, der Konzertgänger aber schätzt. Denn mag aus Runnicles‘ Taktstock eher klares Wasser plätschern, so entzündet sich Wagners Musik darin wie Karbid.

Nachtrag aufgrund einiger irritierter Anfragen:

Das Orchester der Deutschen Oper Berlin ist ein zurückhaltend kommentierender Chor, sachlich und sängerdienlich. Manchmal würde man sich schärfere Akzente wünschen, und man sieht auf dem Podium der Philharmonie einiges, was im Orchestergraben in der Oper gnädig verborgen bleibt, etwa die zwischen den Leitmotiven vor sich hin dösenden Blechbläser. Leitmotivdienst nach Vorschrift. Aber die Abstimmung mit den Sängern ist hervorragend, und an den entscheidenden Stellen lässt Runnicles, nach intensivem Blickkontakt mit Seiffert, die Funken fliegen.

Glücklich also, wer Karten für die längst ausverkauften letzten Zyklen des Götz-Friedrich-Rings im April 2017 hat.

langgaard-altDoch dieser Walküre-Akt hatte eine ganz besondere, fast kosmische Aura durch ein kurioses Vorspiel, das immer noch in der Luft lag: Rued Immanuel Langgaards Sfaerernes Musik (Sphärenmusik) für Soli, Chor und Orchester von 1921. Der Däne Langgaard (1893-1952), ehemaliges Wunderkind, schillernder bis verschrobener Erwachsener, vielleicht auch das, was man grausam leichtfertig eine gescheiterte Existenz nennt; eine Langgaard-Gesellschaft setzt sich für sein Werk ein.

Die Sphärenmusik beginnt mit einem flirrenden Flageolettteppich, für den die Streicher ultraexakte Parkinsonhände brauchen, ein clusteriger Klangflächensound, wie er (mikrotonal verschärft) 40 Jahre später durch György Ligeti berühmt wurde. Dann wird es ziemlich konfus, schwirren andauernd etwelche Phoneme durch den Raum, sirrende und singende Flöten, scheinbar glissandierende Pauken, auch konventionelle bis banale Melödiechen; langgaard-orgelein wichtigtuerischer Orgeleinsatz gibt der Sphärenmusik eine lustige B-Movie-Note, der Chor tritt hinzu und wieder ab, ein Fernorchester von D Sonderplätze (was weniger Raumklang ergibt als dass es halt von oben kommt), eine Frauenstimme ist auch da oben (Siobhan Stagg), später gedämpfte choralartige Figuren der Streicher, acht bedeutungsvoll absteigende Töne, großes Blubbern und Schunkeln… das alles klingt so unverbunden, wie es sich hier liest. Aber aus jeder einzelnen dieser Episoden ließe sich stundenlange Trancemusik kreieren. Zum Schluss ballen sich alle Teilkörper zusammen, inklusive Glocken, Tamtam, Chor, Orgel, jedoch nicht als dramatischer Höhepunkt, sondern rein zufällig: wie es im Lauf der Ewigkeit halt ab und zu geschieht. Ekstasen kommen und gehen, bedeutungslos. Und prompt geht es nach diesem verpassten guten Schluss noch weiter, der Chor summt sedierende Vokalisen, wie ein Gutenachtlied, Flirren, wispernde Pauken, rauschende Harfen, erneutes gewaltiges Anschwellen, schnelles Abebben, fast Abreißen.

Man müsste lügen, wollte man diese bizarre, ziellose Ausgrabung als durchgehend faszinierend bezeichnen. Aber da die Sphärenmusik dem Konzertgänger wie 20 Minuten vorkommt, der Uhr nach aber mindestens 45 Minuten gedauert haben muss, ist es gute Musik.

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5 Gedanken zu „7.9.2016 – Sphärisch: Rued Langgaard und 1. Akt Walküre mit der Deutschen Oper beim Musikfest

  1. Ligeti schon 1921 nachgeahmt zu haben ist natürlich eine Leistung. Man kann sich anhand der Schilderung vorstellen, wie das klingt. Respekt für Runnicles, Langgard aufs Programm gesetzt zu haben. Zeppenfeld war in Bayreuth als Gurnemanz toll, als Hunding fehlte ihm eine Prise böses Temperament.

  2. Block g re. 3 reihe, ganz schön anstrengend bei der Hitze für nen ollen Mann die Treppen hochkeuchen. Nö stinklangweilig kann ich nicht sagen, wie geschrieben nen bisschen zu lang und Zuviel Aufwand

  3. na, da bin ich aber sehr zufrieden mit Ihnen, fand das auch überwältigend, hätten aber auch noch mal das Publikum loben können, das ich gestern wirklich mal lobenswert fand. Seiffert hat mich so etwas von positiv überrascht, hätte ich nicht für möglich gehalten. Na es sieht ja auch so aus, als wenn er sich mit Auftritten sehr zurückhält. Ostern singt er ja mit Harteros unter Thielemann in Salzburg, die Walküre
    Ja, mit der Sphärenmusik hatte ich meine Schwierigkeiten, fand die sehr interessant, aber wie 20 Minuten kam sie mir nicht vor. Macht vielleicht mal Appetit auch mehr von ihm, finde aber den Aufwand dafür zu groß

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