7.6.2016 – Lebensrettend: DSO, Norrington, Faust spielen Haydn, Mozart, Vaughan Williams

HaydnportraitZwischen wartenden Harfen und allerlei Perkussionsgerödel, das großer Dinge harrt, beginnt Joseph Haydns Symphonie Nr. 87 A-Dur Hob I:87 wie ein Überraschungsangriff. Die lang gedehnten Pausen im Kopfsatz genießen die Musiker des Deutschen Symphonie-Orchesters mit sichtbarer diebischer Freude. Hörbar ist diese Freude sowieso, erst recht in den Soli der Flöte (Kornelia Brandkamp) im Adagio und der Oboe (Thomas Hecker) im Trio des Menuetts.

Der freudigste Dieb von allen, Sir Roger Norrington, dirigiert nur, wo es nötig ist, oft und gern hört er einfach staunend seinen famosen Musikern zu. Zwischen den Sätzen fordert er das Publikum in der Philharmonie zum Reinklatschen auf und klatscht selbst voran, als die wohlerzogenen Hörer zögern, weil man das doch bei Bruckner und Brahms nicht darf. Nach dem Finale eine für einen 82jährigen beneidenswert schwungvolle 180°-Drehung auf den Fußballen. Wer schon sprungbereit auf Brücke oder Dachsims steht, weil er nicht mehr ans Glück auf Erden glaubt, sollte eine Haydn-Symphonie unter Norrington hören.

Wenn er dann immer noch springen will, sollte er Isabelle Faust hören, am besten mit Mozarts Violinkonzert Nr. 4 D-Dur KV 218. Faust stellt sich tief ins Halbrund des von ihr gelobten Orchesters und spielt, mit ständigem Blick auf den Konzertmeister Wei Lu, im Tutti mit, bis ihr Solo-Part beginnt. Wenn der Konzertgänger mehr von der elenden Geige (Beethoven) verstünde, würde er sich trauen, Isabelle Faust seine absolute Lieblingsgeigerin zu nennen. Für ihren glasklaren Ton und die intelligente Ausphrasierung bis ins hinterste Notenschweiflein pfeift er auf die ganze russische Schule. Wer nach dem schrägen Medley aus Barocktänzen im finalen Rondeau und der amüsanten Zugabe von Louis-Gabriel Guillemain (Allegro A-Dur aus dem Amusement pour le violon seul op. 18, vielen Dank an die Pressestelle des DSO) immer noch springen will, der springt zumindest als glücklicher Mensch.

Vaughan-Williams-by-RothensteinAber er würde Ralph Vaughan Williams‘ Symphonie Nr. 9 e-Moll (1956/57) nach der Pause nicht mehr kennenlernen, und das wäre ein Jammer. Harfen, Celesta sowie Xylophon, Tamtam und was da noch an Perkussionsgerödel ist, hat das mächtig angeschwollene Orchester in sich aufgesogen. Norrington dirigiert nunmehr vom Podest, zwischen den Sätzen wird nimmermehr geklatscht. Vaughan Williams‘ letzte Symphonie beginnt als breiter, dunkler Klangstrom, den die Darmstädter Zwölftonpolizei (Christian Schruff) niemals europäisches Festland hätte betreten lassen. Immer wieder monumentaler Stillstand, plötzlich eine wunderbare Geigenkantilene von Wei Lu im Kopfsatz. Ein Saxophon-Trio ist wundervoll in den Orchesterklang integriert (darauf hätte eigentlich bereits Berlioz kommen müssen). Im zweiten Satz irrt das einsame Flügelhorn (Matthias Kühnle) durch die bedrohliche Landschaft von Wessex wie Jeanne Moreau durchs nächtliche Paris: Endstation Stonehenge.

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Eine berauschend üppige Klangentfaltung, voller Pracht und Geheimnis. Wie alle Symphonien, die Norrington in seinem bemerkenswerten Vaughan-Williams-Zyklus  bisher zum DSO brachte, dem besten denkbaren Anwalt dieser hierzulande viel zu unbekannten Musik, möchte man auch die Neunte wiederhören. (Bei Youtube ist es halt nicht dasselbe.)

Am 19. November gibt es Vaughan Williams‘ Achte.

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