6.1.2017 – Etwas angeheitert: András Schiff spielt Bach, Bartók, Janáček, Schumann

alice-barber-stephensGipfel des kultivierten Klavierspiels im ausverkauften Kammermusiksaal: lehrreich, aber nicht belehrend. Mit erhobenem Zeigefinger ist ja schlecht Klavierspielen; aber mit waagerecht ausgestrecktem Zeigefinger hat man diesen Pianisten schon spielen sehen, vor zwei Jahren war’s, bei Haydn.

Eine pädagogische Note kommt zudem ins Spiel, weil András Schiff Werke auf dem Programm hat, von denen einige aus dem Klavierunterricht nicht ungeläufig sind.

Jan_Vermeer_van_Delft_014.jpgEin Faksimile der Originalhandschrift von Johann Sebastian Bachs Inventionen BWV 772-786 liege draußen im Künstlerzimmer, verrät Schiff in einer interessanten, wenn auch vor Weitschweifigkeit nicht gefeiten Vorrede. Schiff spielt die zweistimmigen Inventionen mit ungewohnten, doch originalgetreuen Verzierungen. Er erlaubt sich nur kleine dynamische Schattierungen, um die beiden Stimmen klarstmöglich voneinander abzuheben. Konsequenter Pedalverzicht. Trotzdem klingt dieser Bach lebendig und beseelt, ja es ist kaum vorstellbar, dass Bach auf einem modernen Flügel (Schiff spielt diesmal auf einem Steinway) besser klingen könnte. Die Inventionen 13 und 15 werden zu himmlischen Höhepunkten.

Marks, Henry Stacy, 1829-1898; At the PianoDass auch für gröbere Ohren keine Spur von Eintönigkeit entsteht, dafür sorgen zudem drei volkstänzerische Werke von Béla Bartók, die Schiff jeweils im Wechsel mit fünf Inventionen spielt. Stimmungsvoll, harmonisch und metrisch aufregend die 10 kurzen Stücke aus dem Zyklus Für Kinder Sz 42. Im letzten sind Linke und Rechte so weit auseinander, wie es zu Bachs Zeiten schon aufgrund der kleineren Tastatur nicht möglich gewesen wäre; es klingt, als tanzten Bauern mit Engeln. Das bereichert den Höreindruck von Bachs danach wieder einsetzenden zweistimmigen Gesängen ungemein. Nach 3 Rondos über slowakische Volksweisen Sz 84 endet der erste Teil des Programms mit 3 Burlesken Sz 47 (1908-11). Die sind was Dolles! Bei Schiff klingt selbst die motorische Zänkerei kultiviert. Den Titel der zweiten Burleske könnte man, so Schiff in der Vorrede, statt mit Etwas angeheitert auch mit Besoffen übersetzen. Aber dann spielt er sie doch angeheitert, und das ist gut so. Erst bewegen sich die Hände in Engführung und die Stimmen parallel, dann entfernen die Hände sich räumlich und stimmlich voneinander, eine setzt gar aus, und da meint man, im eigenen Körper ein Schwanken zu spüren: den Verlust des Gleichgewichtssinns bei zunehmenden leicht kosmischen Gefühlen. Etwas angeheitert eben.

renoir23Das Dickicht von Leoš Janáčeks traumhaft schönem Zyklus Auf verwachsenem Pfade (1. Reihe) lichtet Schiff, ohne zu roden. Spielt ganz in hellem Traummodus. Der nuancenreich beleuchteten Friedecker Muttergottes tut Schiffs Zugriff gut. Und in der feinsten Schattierung der wenigen Töne von Gute Nacht entfaltet seine einzigartige Anschlagskultur höchste Wirkung, ebenso In Tränen. Das Beklemmende und Einschnürende des letzten, vom Tode (der Tochter Olga Janáček) besessenen Stücks Das Käuzchen ist nicht fortgeflogen wird trotz oder gerade durch Schiffs gewisse Reserve spürbar.

Mancher könnte sich vielleicht dennoch hier und da mehr Schummrigkeit vorstellen oder auch Schärfe, etwa bei den insistierenden Akkorden und Tonrepetitionen in Unsere Abende oder Sie schwatzten wie die Schwalben. Der Konzertgänger ertappt sich auch bei So namenlos bange (wie früher einmal bei Schiffs Schubert) beim Wunsch, dieser Pianist möge mal auf seine beherrschte Weise die Beherrschung verlieren. Freilich, das ist Mäkelei auf allerallerhöchstem Niveau. Und man sollte von einem Künstler wohl nicht etwas ganz und gar Temperamentwidriges verlangen.

Fast so schön wie im Konzert klingt’s hier:

Der Klavierunterrichts-Flair geht zum Glück nicht so weit, dass Schiff mit Robert Schumanns Album für die Jugend schließen würde. Stattdessen Davidsbündlertänze opus 6. Poetisch und kontrastreich, wobei hier der brausende Florestan und der sanfte Eusebius passabel miteinander auskommen, statt die Brust des Künstlers zu zerreißen. Doch wann hörte man je einen Schumann von solcher Deutlichkeit? Jeder Ton, jeder einzelne Ton ein Fest.

norwegian-painter-harriet-backer-artistsandart-6Als erste Zugabe lässt Schiff den Fröhlichen Landmann so leichtfüßig und ausdifferenziert dahintänzeln, wie man es sich eingedenk schröcklicher Klavierstunden nie hätte vorstellen können. Doch, von Schiff würde man sich auch das ganze Album für die Jugend anhören. Bachs Italienisches Konzert sowieso, dessen ersten Satz Schiff als zweite Zugabe spielt. Mit ein bissl Pedal, alles Dogmatische ist Schiff fremd.

Zwei Ärgernisse am Rande: ein kleines, dass bei Kammerkonzerten der Stiftung Berliner Philharmoniker zum wiederholten Male die Programmhefte frühzeitig ausverkauft sind. Ein großes, dass irgendjemand im Saal Niespulver verstreut zu haben scheint, etwa ab dem halben Janáček brechen alle Dämme.

Weitere Besprechungen: recht kritisch von Isabel Herzfeld im Tagesspiegel, begeistert von Julia Spinola im Deutschlandfunk.

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