5.6.2016 – Being Barenboim: Vom Geburtstagskonzert für Martha Argerich zu Martinůs „Juliette“ in der Staatsoper

Einmal auf Daniel Barenboims Spuren wandeln, nein rasen: 15 Uhr Geburtstagskonzert für Martha Argerich in der Philharmonie, 19.30 Uhr Bohuslav Martinůs Juliette in der Staatsoper. Mit dem Fahrrad kommt man sogar schneller rüber als der Maestro in der Limousine. Zumal wenn im Tiergarten ADFC-Sternfahrt ist. Vielleicht trudeln deshalb viele Besucher bei

Martha Argerichs Geburtstagskonzert

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in der proppenvollen Philharmonie erst ein, als die Jubilarin und Barenboim mit Mozarts Sonate für 2 Klaviere D-Dur KV 448 schon fertig sind. Ärgerlich bei Kartenpreisen bis 220 Euro, andererseits fließen ohnehin alle Einnahmen einem guten Zweck zu, dem BER der Sanierung der Staatsoper Unter den Linden.

Trotzdem ist das Publikum bunt gemischt, von Hotpants bis Luxus-Kimono. Das Baby, das vor einer Woche bei Maurizio Pollini krähte, schläft diesmal durch (Block K). Eine chinesische Klavierstudentin erzählt dem Konzertgänger, dass man in China ganz anders gegen Konzertstörer vorgehe, man richte Laserpointer auf bimmelnde Handys etc. Völkerverbindendes Schwelgen in Bestrafungsfantasien (obwohl das Publikum sich diesmal recht manierlich verhält).

Während nach Mozart der überzählige Flügel im Boden versinkt, sieht man La Argerich nervös vor der Tür herumtigern. Bei den Klavierkonzerten 1 & 2 von Beethoven ist von Nervosität nichts mehr zu spüren, dafür höchste Vollendung. Hier meine ausführliche Kritik fürs internationale Publikum.

Argerichs Scarlatti-Zugabe nicht minder brillant als in dieser römischen Aufnahme von 2008:

Danach kann der Konzertgänger sogar heimradeln und (nicht ohne dem Opa die Hand zu schütteln und den Kindern einen Gutenachtkuss zu geben) seine Frau abholen, um gemeinsam zu

Bohuslav Martinůs Juliette 

in die Staatsoper im Schillertheater zu fahren. Simon Rattle ist auch da, in Reihe 7, von wo er seine Frau gut hören und sehen kann.

2010 gab es in einem wunderbaren Philharmoniker-Konzert Auszüge dieser Oper, mit Tomáš Netopil anstelle des kurz zuvor verstorbenen Charles Mackerras:

Die unbändige Freude, Martinůs Oper Juliette endlich auf einer Berliner Bühne zu erleben, weicht jedoch bald einer linden Enttäuschung – zumal angesichts der großteils hymnischen Kritiken. Das Bühnenbild von Alfred Peter ist zwar schön: klaustrophobischer Psychokasten mit Bewusstseinsschubladen und Mentaltürchen in den ersten beiden Akten und sich in unendliche Schwärze entgrenzende Traumnebelschwaden im dritten Akt.

Doch Claus Guths Inszenierung dieses surrealistischen Meisterwerks (Einführendes zu Juliette) als kabarettistische Nummernrevue ist so kurzweilig wie leider vollkommen zauberfrei. Martinu_1943Denn dass in Martinůs/Neveux‘ rätselhaftem Traumspiel um einen Verlorenen, der in den Kurzzeitgedächtnisterror einer langzeitgedächtnislosen nächtlichen Menschheit gerät, der Faden immer wieder abreißt, heißt doch nicht, dass das Stück in einer Folge von Slapstick-Szenen sinnvoll umgesetzt wäre. Da geht es dem Zuschauer wie den Stadtbewohnern des Stücks: Es versüßt den Moment, aber raubt das Ganze.

Dass Rolando Villazón mit seinen Chaplinaden und Harlekinaden alle Aufmerksamkeit auf sich zieht und allen Tiefsinn wegblödelt, ist nicht ihm anzukreiden, sondern der Regie. Villazón spielt ja fulminant, was den Jubelsturm am Ende erklärt, der trotzdem etwas kurios ist. Denn man hört hier die Rudimente einer großen Stimme, die über weite Strecken trägt, aber in den Höhen schmerzlich quetscht und, bei allem Respekt, kräht. Im dritten, sehr intensiven Akt gehen die Lichter dann komplett aus, die Stimme bricht mehrmals weg. Man kann das Villazón nicht vorwerfen, die Umstände sind ja allgemein bekannt, deshalb geht der Applaus sogar in Ordnung.

Magdalena Kožená überzeugt sängerisch als Juliette, die Frau aller Träume, mit dunkel timbriertem Mezzosopran. Geheimnis jedoch und Erotik: Fehlanzeige. Was bei einer so attraktiven, charismatischen Sängerin fast ein Kunststück der Regie ist.

In welcher Sprache gesungen wird, ist bei beiden nicht immer erkennbar; bei Villazón würde man gelegentlich auf Rumänisch oder Rätoromanisch tippen.

Unter den weiteren, durchweg guten Sängern ragt der so kunst- wie kraftvolle Countertenor Thomas Lichtenecker hervor.

Die Staatskapelle scheint gut zu spielen, auch wenn von Martinůs Orchesterzauber in der resonanzlosen Akustik des Schillertheaters nicht so viel bleibt, wie man sich wünschen würde. Für die mysteriösen Echos, von denen es im 2. Akt tönt, ist das natürlich der denkbar ungünstigste Raum. Angesichts dieses Handicaps blinkt, schimmert und blubbert es doch beachtlich farbenfroh aus dem Orchestergraben. Was natürlich für den furchtlosen Daniel Barenboim spricht.

Wie die konzertante Aufführung den Wunsch nach einer Bühnenaufführung geweckt hat, so hat die Bühnenaufführung den Wunsch nach einer konzertanten Aufführung geweckt. Eine schleifenhafte Erfahrung, die dann doch irgendwie ganz gut zur ungreifbaren Juliette passt.

Noch viermal bis zum 18. Juni. Zu Juliette / Zum Anfang des Blogs

 

 

10 Gedanken zu „5.6.2016 – Being Barenboim: Vom Geburtstagskonzert für Martha Argerich zu Martinůs „Juliette“ in der Staatsoper

  1. Mal ehrlich, nach Argerich nahtlos Juliette, das erfordert Ehrgeiz (Habe mir auch überlegt, nach Philharmonie noch Tristan DOB, da der Sonntag für eine Fahrt ins Grüne schon futsch war, aber bin ganz froh, dass nichts draus wurde). Doch, die Regie von Guth fand ich exzellent. Es gibt wenige Visualisierungen von Opern, die ich ähnlich genossen habe. Tja und Villazón ist sicherlich von keinem Regisseur zu bremsen und so schickt Guth sich drein. Obwohl, in den Eugen Onegin von Freyer an der Staatsoper – meine Frau hasste diese Inszenierung – mit all der symbolhaft reduzierten Gestik hat sich Villazón mit großer Disziplin eingefügt. Ich fand nur 2 Pausen bei Juliette eine zu viel.
    Mit dem Baby war das das Paar, das hinter Block K herumtigerte? Die hatte ich auch mit gemischten Gefühlen im Auge. Andererseits, warum sollte man 1-Jährigen vorneweg vom Genuss einer Mozart-Sonate ausschließen? Manche Eltern bringen den 5-jährigen Nachwuchs auch zu Parsifal mit, meiner Einschätzung nach eine Tortur ohne gleichen.

  2. Na, dann werde ich mir die Juliette doch sparen, war eh im Zweifel. Nach den Kritiken, die ja teilweise überwältigend waren, hatte ich schon Zweifel, was Villazon betraf. Dieses Drama möchte ich mir dann doch nicht antun.

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