5.3.2017 – Hellwach: Barenboim & Co eröffnen den Pierre-Boulez-Saal

kand-3Sind die eigentlich alle ausgeschlafen? Am Sonntag um 11 Uhr gibt es das Konzert zur Eröffnung des neuen Pierre-Boulez-Saals zum zweiten Mal, keine zwölf Stunden nach dem Ende des ersten am Samstagabend. Und man wird ja wohl kaum direkt danach zu Bett gegangen sein.

Daniel Barenboim insonderheit traut man es zu, dass er neben der verdienten Feier gleich wieder etwas gefundraist hat für einen neuen noblen Zweck. So wie er es zugunsten der Barenboim-Said-Akademie getan hat, in der schon seit einem halben Jahr Stipendiaten aus Israel und arabischen Ländern miteinander studieren, kommunizieren, musizieren. Den neuen Konzertsaal gab’s obendrauf, mit dankenswerter Gratis-Unterstützung des Architekten Frank Gehry und des Akustik-Gurus Yasuhisa Toyota.

kand-4Spektakulär, aber auf leise Art. Schon im Eingangsbereich, der wie der Rest der Akademie von HG Merz gestaltet wurde, waltet ein sachlicher, ja sparsamer Chic, bei dem man als Berliner erstmal beschämt den Blick senkt. Zumal ja alles so pünktlich und preistreu fertig wurde. Die Vergangenheit des Gebäudes als Kulissenmagazin der Staatsoper, in deren Rücken das Gebäude liegt, ist sofort sichtbar: in Stahlträgern, freiliegenden Rohren, unlackierten Schiebetüren, auf denen sich noch historische Kreide-Inskriptionen finden:

kreide

In Gehrys aus einer lustigen Krickelskizze entstandenem Saal kann man dann staunen über die freischwebende geschwungene Galerie und allerlei Ellipsen und Ovale, die das Architektenherz höher hüpfen lassen. Noch staunenswerter aber ist die grundsympathische Bescheidenheit, in der der Raum sich zeigt. Fern liegt es diesem Saal zu protzen mit seiner modularen Flexibilität, sich in jede gewünschte Sitzordnung verschieben zu lassen. Man sitzt einfach sehr bequem in Sesseln von gehobenem BVG-Design (dabei jeder Bezug ein Gehry-Unikat).

Zur Eröffnung erstmal im geschlossenen ovalen Ring um die Musiker.

kand-1Und man hört hellwach bestürzend klare Klänge von, wie sich zeigt, sehr ausgeschlafenen Musikern: Pierre Boulez‘ Initiale (1987) eröffnet das Konzert, Barenboim dirigiert oben auf der Galerie sieben Blechbläser, drei links, vier rechts. So transparent die Akustik ist, kann von problematischer Hellhörigkeit oder gar Kälte nicht die Rede sein, alles tönt warm und ausgewogen. Alles. Auch wenn einem Hörer auf der anderen Seite des Saales ein Haar vom Kopf fällt. Berlins gefürchtete Lusthuster, Flüsterlümmel, Zwangsraschler mögen sich siebenmal überlegen, ob sie diesen Saal betreten dürfen. Und Musiker siebenmal siebzigmal! Denn kommt ein Einsatz einen Tick zu spät, gerät ein Ton etwas zu laut oder zu schrill, bemerkt das selbst der komatöseste Hörer.

Keine Gefahr ist das freilich für die Sopranistin Anna Prohaska und den Klarinettisten Jörg Widmann, die gemeinsam mit Barenboim am Klavier Franz Schuberts Der Hirt auf dem Felsen D 965 vortragen. Irritierend allerdings, wie perfekt abgemischt, wie naturfern der Widerhall der Klüfte in dieser Umgebung tönt. Doch im unendlich sachten Übergang zum dritten Teil, von der tiefen Gram in den erlösenden Frühling, durchzuckt eine heftige Glückserschütterung das Ohr des Konzertgängers. Und man freut sich, später in Widmanns Fantasie die Kapriolen und Capricen der Klarinette solo zu hören, diesmal von der Galerie.

In Wolfgang Amadeus Mozarts Klavierquartett Es-Dur KV 493 spielt der Geiger Barenboim jr. zwar von einem arg fleckigen iPad, aber klingt sehr sauber, wie die Bratschistin Yulia Deyneka und der Cellist Kian Soltani. Der Pianist Barenboim sr. zieht alle an der Hand einmal rund ums Klavier, um sich in alle Richtungen zu verbeugen. Das ist, als Höflichkeitsbezeugung, jener demokratische Anspruch des Saals, der sich schließlich in den Aufstellungen der beiden Ensemble-Werke abbildet, die die federleichten Schwergewichte des Programms bilden: Jeder sitzt im Lauf des Konzerts mal im Rücken der Musik.

Den Konzertgänger erwischt es in Alban Bergs Kammerkonzert für Klavier und Geige mit 13 Bläsern (Klavier Karim Said, der Neffe Edward Saids; Geige Michael Barenboim). Und er stellt fest, dass hier das Hören im Rücken der Musik bei weitem akzeptabler ist als etwa im Kammermusiksaal. Hört man halt die Oboe ein (klein) bisschen weniger, dafür etwas mehr Bassklarinette und Kontrafagott, das freut das Kind im Mann. Die Einschränkung bei der Geige ist naturgemäß etwas größer, aber die Klangmischung des Ganzen, gerade am Ende des dritten Satzes, ist volltönend austariert.

Wie es bei Sängern sein wird, ist eine andere Frage. Weitere Frage, ob man in Reihe 1 nicht zu nah an der Musik sitzt. Der Konzertgänger saß in Reihe 4 im Parkett, das war wunderbar.

Nachtrag: Jan Brachmann zeigt in seinem hervorragenden FAZ-Artikel (kostenpflichtig) auf, dass es auf dem Rang größere akustische Unwägbarkeiten gibt als im Parkett.

kand-2Der Namenspatron Pierre Boulez steht, wie am Anfang, auch am Ende des Konzerts. Die Aufstellung ist gegenüber Berg um 180 Grad gedreht, so dass der Konzertgänger über Barenboims Schulter in der Partitur von sur Incises mitlesen könnte. Wenn er’s könnte. Oder wenn er nicht lieber die Augen schlösse, um zu genießen, wie die erlesenen Klänge zwischen drei Klavieren, drei Harfen, Marimba und zwei Vibrafonen hin und her huschen und wogen. Welch dekadente, ja obszöne Sinnlichkeit! Wenn je wieder irgendein Bescheidwisser behauptet, Boulez wäre verkopft, kann man getrost schallend loslachen. Allein für dieses Klangereignis, dessen Überlänge (40 Minuten) zugegeben eine Herausforderung ist, hätte sich ja der Bau dieses neuen Saales gelohnt.

Auf Arte kann man das Konzert nachhören und -schauen (leider nur bis zum 12. März).

Bildergalerien durchklicken macht Spaß, Hingehen und Hören noch mehr: Im Programm bis Juli gibt es noch für viele Veranstaltungen Karten. Zwar nicht gerade für Lang Lang und Martha Argerich, aber für wahre Abenteuer wie einen Haydn-Marathon des grandiosen Hagenquartetts (2. April), einen persischen Abend mit dem Ensemble Schiraz (10. Mai) und jede Menge Schubert.

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