Tonschönheit ist Nebensache, gebietet Paul Hindemith im 4. Satz seiner Solo-Sonate dem Bratschisten: Rasendes Zeitmaß. Wild. Wenn ein alter Europäer junge Asiaten hört, dann muss der Musiker stets auch gegen das Vorurteil anspielen: absolute technische Perfektion auf Kosten des individuellen Ausdruckswillens. So stehen die jungen Musikerinnen, die auf Initiative des Vereins New York City Artists in den kommenden Monaten fünfmal im Kammermusiksaal der Philharmonie spielen, vor keiner leichten Aufgabe.
Fast ist man erleichtert, bei der südkoreanischen Bratschistin Namjoong Kim schon in Johannes Brahms‘ ursprünglich für Klavier und Violine komponiertem Scherzo aus der F.A.E.-Sonate einige intonatorische Rauheiten zu hören, die nur zum Teil dem Charakter der Viola zuzuschreiben sind. Angemessen ungebärdig spielen Namjoong Kim und Zheeyoung Moon am Klavier diesen kraftmeierischen frühen Brahms, dritter Satz eines Gemeinschaftswerks mit Robert Schumann und dem vergessenen Albert Dietrich. (Man liest oft von dieser Sonate, bekommt sie aber leider nie im Ganzen zu hören.) Auch optisch sind die beiden ein eindrucksvolles Gespann. Die eher zurückhaltende Moon vermeidet es, vom Steinway aus die Bratsche zu übertönen, und tritt das Pedal mit Schuhen, mit denen sie kaum Autofahren dürfte. Kim schließt beim Spiel oft die Augen, platzt aber auch heraus und stampft bisweilen mit dem Fuß, dass man zusammenzuckt.
Die Klangschönheit kommt dann in Brahms‘ später dreisätziger Sonate Es-Dur op. 120,2 zu ihrem Recht. Man kennt sie als Klarinettensonate, Brahms selbst gab sie wegen des Mangels an guten Bläsern auch für Bratsche heraus, und in dieser Form hört man ein ganz anderes Werk: mit einem amabile, das nie weichgespült klingt, einem schroffen appassionato und geschmeidigen Zweiunddreißigstel-Ketten im grazioso des Variationenfinales. Sehr guter Brahms, lernt der alte Europäer. Und die jungen Asiaten lernen ebenfalls: dass auch in Berlin, dem Mekka der klassischen Musik, die Hörer zwischen den Sätzen klatschen.
Was bei Brahms kaum stört, aber bei Paul Hindemiths Sonate für Bratsche Solo op. 25, 1 (1922) schon ziemlich lästig ist, eine Art Händehusten. Kim lässt sich davon nicht beirren und zeigt die ganze Palette ihres Könnens und ihres Instruments, im Sehr langsam etwa die schwebend-sphärischen Flageolettklänge, die die Tochter des Konzertgängers im Geigenunterricht Flötentöne und Zaubertöne nennt. Im Rasend fetzen die Haare vom Bogen. In der spröden Schönheit des Passacaglia-Finales, definitiv einem Höhepunkt der überschaubaren Viola-Literatur, erreicht das Konzert seine Klimax.
Die Fantasie für Bratsche und Klavier F-Dur (1918) des in Deutschland völlig unbekannten englischen Komponisten York Bowen (1884-1961) passt dazu wie die Faust aufs Auge: gepflegt elegische Musik mit großem Soßenfinale, bedenkenlos zusammengeschustert, aber stets schön anzuhören – und, obwohl der lange elegische Strich vorherrscht, mit einer großen spieltechnischen Bandbreite für die Bratschistin. Ein gelungener Auftritt, der den alten Europäer erfreut und ein wenig beschämt.