4.6.2016 – Seufzend: Mandelring Quartett spielt Viktor Ullmann, Mozart, Schumann

Fringilla_coelebs_mNicht Jagdquartett, sondern Vogelzwitscherquartett sollte Wolfgang Amadeus Mozarts idyllisches Streichquartett B-Dur KV 458 heißen, wenn es denn einen Beinamen haben soll: In seinen buchfinkhaften Trillerketten bildet sich der federleichte Schwung ab, mit dem das Mandelring Quartett im Kammermusiksaal das letzte Konzert seiner Berliner Saison eröffnet. (Sehr passend gibt es dann am Ende Adagio und Finale aus Haydns Lerchenquartett als Zugabe.)

Nach beschwingtem 6/8- und 3/4-Takt wirkt der dritte Satz, ein bei Mozart nicht häufiges Adagio (statt Andante), als emotionales Gravitationszentrum. Im kantablen Hin und Her zwischen erster Geige und Cello wird erstmals das Seufzen hörbar, das auf ganz unterschiedliche Weise die folgenden Werke des Abends prägen wird. Der leichtfüßige Schlusssatz wirkt danach nicht mehr ganz so unbeschwert, wie dieses anmutige, freundliche Quartett auf den ersten Blick scheint.

Viktor_Ullmann_2Viktor Ullmann, über dessen Schaffen und Schicksal man sich hier und hier näher informieren kann, schrieb sein 3. Streichquartett 1943 unter kaum vorstellbaren Umständen im KZ Theresienstadt; er wurde am 18.10.1944 in Auschwitz-Birkenau ermordet. Angesichts dieser Tatsache wäre sein Quartett selbst dann aufführenswert, wenn es als Musikstück nur così così wäre.

Aber wenn man der schmerzlich perfekten Darbietung des Mandelring Quartetts zuhört, ist man sicher, dass dieses fast unerträglich intensive Quartett ein musikalisches Meisterwerk ist: beherrscht von einem omnipräsenten, insistierenden, Sirenen und Alarme umschließenden, dabei durchaus lyrischen Seufzen, in das alle Eruptionen und Aufschwünge zurückfallen, immer wieder. Klassisch viersätzig gebaut, beginnt der zweite Satz mit Schreien, später werden Anflüge eines schaurigen Tänzchens hörbar. Von der Bratsche geht der fahle, trostlose Gesang im folgenden Largo aus. Doch durch alle Schrecken zieht sich die Sehnsucht nach Gesang und Schönheit, so dass man zögert, Ullmanns Musik mit dem blöden Begriff atonal zu bezeichnen.

Die Erfahrung, diese Musik im Konzert zu hören, ist unwiederholbar; dennoch geben auch diese Videos (nicht vom Mandelring Quartett) einen Eindruck von der Eindringlichkeit des Stücks:

Eine ganz andere Form von Sehnen kennzeichnet das letzte Stück des Konzerts. Und dennoch, oder gerade deshalb, ist es gut, dass es folgt: Als romantisch schwelgendes Seufzen könnte man die fallende Quinte hören, mit der Robert Schumanns Streichquartett A-Dur op. 41,3 beginnt, das letzte der drei Streichquartette des „Kammermusikjahrs“ 1842. Ein in die Höhe gerichtetes Streben aller Instrumente folgt dem romantischen Seufzen auf dem Fuße. Die Stimmungsumschwünge des Kopfsatzes werden gern mit der berühmt-berüchtigten Dichotomie von Florestan und Eusebius in Verbindung gebracht. Hier hat man fast den Eindruck, dass immer größere Kraftanstrengungen nötig werden, um sich zum himmelwärtigen Streben und Sehnen aufzurichten.

Das Mandelring Quartett spielt, singt, klagt und jubelt das Stück so zart und bravourös, wie man es sich nur wünschen kann (und von diesem Quartett erwartet hat): die fugenhafte Variation etwa im zweiten Satz, die so grimmig ansetzt, als wär’s Beethovens Hammerklavierstreichquartett persönlich, um doch schnell in einen Freudentaumel und dann ein sanftes Siciliano zu münden. Schmerzlich aufgeladen kehrt das Seufzen im Adagio molto wieder, das bis zu seinem zärtlich abgetönten Schluss verzaubert.

Doch der poetisch beseligende Weltschmerz, der auf den glücklichen Hörer abfärbt, wird nach der Ullmann-Erfahrung sehr konkret. Und die ausgelassene Fröhlichkeit des Finales hat, ohne einen Deut Fröhlichkeit zu verlieren, etwas von Fröhlichkeit in memoriam: Die Schönheit dieser Musik (wie alle Streichquartette von Schumann dem jüdischen Protestanten Mendelssohn gewidmet) hört man im Bewusstsein dessen, was 100 Jahre später in deutschem Namen einem legitimen Erben von Mendelssohn und Schumann angetan wurde. Herzen und Ohren der Hörer in solche Zusammenhänge zu führen, ist das Beste, was einem Konzertprogramm gelingen kann.

Der nächste Berlin-Zyklus des Mandelring Quartetts beginnt am 6. November.

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