4.3.2017 – Sitaresk: Berliner Philharmoniker mit Zubin Mehta, Ravi und Anoushka Shankar, Béla Bartók

Während zwei Kilometer weiter östlich der neue Boulez-Saal eingeweiht wird (Bericht vom 2. Eröffnungskonzert folgt morgen), begehen die Berliner Philharmoniker ihre eigene west-östliche Divanfeier: ज़ूबिन मेहता aka Zubin Mehta dirigiert zwei mächtige Cross-Œuvres. Nach der Pause Béla Bartóks ungarisch-europäisch-amerikanisches Konzert für Orchester, zuvor das Konzert für Sitar und Orchester Nr. 2 Raga-Mālā von রবি শংকর aka Ravi Shankar – jenem 2012 verstorbenen Meister der Sitar, der weiland George Harrison inspirierte und mit Yehudi Menuhin jammte:

Ravi Shankars auf 30 Ragas basierendes, im westlichen Sinn klassisch viersätziges Konzert wird in der Philharmonie interpretiert von der Tochter अनुष्का शंकर aka Anoushka Shankar, geboren im Jahr der New Yorker Uraufführung 1981. sitar-player-2Die sitzt auf einem großen Teppich neben dem Dirigentenpodest, wie es sich gehört,  barfuß, ein Bein unter den Oberschenkel geschoben, das andere ausgestreckt. Eine Kunst für sich, so zu sitzen.

Und erstmal, so zu spielen! Hochvirtuos, anmutig, vital, wohl auch viel improvisierend lässt Shankar den betörend funkelnden Obertonregen der Sitar auf die Hörer niedergehen. Das freie Mitschwingen der Resonanzsaiten lässt die Sitar als wunderbares lebendiges Wesen erscheinen, geheimnisvoll, stimmungsreich. Man möchte ihr stundenlang zuhören.

Hinter Shankars Sitar stehen Harfe und Celesta, eine Silberquelle im Herzen der Musik. Rundherum jedoch befindet sich ein riesengroßes Symphonieorchester. Wenn einzelne Instrumente hervortreten, ergeben sich die schönsten intimen Begegnungen: mit der Solovioline (Daishin Kashimoto) etwa und mit der Flöte (Emmanuel Pahud), überhaupt den Holzbläsern. Herrlich der Tanz der Sitar mit einer Fasstrommel und Klanghölzern im dritten Satz. Auch einige fulminante Soli gibt es, etwa halsbrecherische Kunststücke der Trompete (Gábor Tarkövi) und der Klarinette (Andreas Ottensamer), ebenfalls im dritten Satz.

Allerdings drängt sich der Eindruck auf, dass der Komponist Shankar mit Solisten mehr anzufangen wusste als mit dem kollektiven Klangkörper. Da gibt es doch erheblichen Leerlauf, vor allem in den endlosen Streicherunisoni. Die Musik wandert die ganze Zeit durch die Orchestergruppen, aber es entsteht kaum einmal jene Art von Mischklang, die seit über 200 Jahren den Kern des „westlichen“ Orchestersounds ausmacht, von der Klassik bis zu fast allen Avantgardes. Einiges banale Gerödel kommt obendrauf, so Paukenglissandi, Windmaschine und Donnerblech im vierten Satz. Das wirkt beim ersten Hören auf Konzertgängers Ohr schon als Manko, so wird das große Orchester zur musikalischen Falle. Vielleicht möchte ein junger Komponist mal eine Version für Kammerorchester erstellen?

sitar-playerDenn Kraft steckt ja in diesem Werk, vor allem im dritten Satz, der unmittelbar anspricht in seiner zunächst ganz friedvollen Abendstimmung, und im ungeheuer freudevollen Schlusswirbel des Finales.

Und vor allem in Anoushka Shankars Sitar, dieses von einem Zauberwesen gespielte Zauberwesen! Selten geschieht es, dass der Konzertgänger sich wünscht, der Komponist hätte den Solopart dominanter und, warum nicht, angeberischer gestaltet. Hier ist so ein Fall. Als Zugabe spielt Anoushka Shankar einen hinreißenden Abend-Raga, hart an der Grenze zum Kitsch (also da, wo es am schönsten ist). Da wünscht man sich wieder, wie in so mancher Solo-Passage des Konzerts, Anoushka Shankar möge ewig weiterspielen.

Béla Bartóks Konzert für Orchester (1943), das den zweiten Teil des Konzerts bildet, ist in punkto Orchesterbehandlung natürlich ein anderes Kaliber: Wie der vielschichtige Streicherklang sich zu Beginn des Kopfsatzes aus der Tiefe aufbaut. Wie sich im zweiten Satz, zum aparten Klang des Trömmelchens, Pärchen bilden, vom Fagott über alle Bläser bis zur Harfe. Wie im dritten Satz die Erinnerungen nächtlich sirren, flirren, seufzen, schreien, bis zur kompletten Schlussdivergenz von Piccoloflöte und Kontrabass.

Die Philharmoniker leuchten. Zubin Mehta (80 Jahre, kein Stuhl, kein Geländer, keine Partitur) lässt sie leuchten. Hochdramatisch, ja theatralisch, was für diesen „amerikanischen“ Bartók gewiss in Ordnung geht. Ungeheuer wirkungsvoll ist es sowieso.

Ach, dieses doppel- und dreifachbödige Trivialtohuwabohu des vierten Satzes! Und der überschäumende Schlusstanz des Ganzen! Wenn man bedenkt, dass die meisten Finaljubel von Beethoven über Tschaikowsky bis Mahler einen heute doch befremden bis entsetzen: da verschlägt es einem den Atem, dass Bartók, fast schon im Sterben, der Welt eine so glaubhaft triumphierende Musik hinterließ.

Nachzuhören in der Digital Concert Hall (für Geld, mit Bild) und im Kulturradio (kostenlos, ohne Bild). Kritiken im Kulturradio und im Tagesspiegel.

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7 Gedanken zu „4.3.2017 – Sitaresk: Berliner Philharmoniker mit Zubin Mehta, Ravi und Anoushka Shankar, Béla Bartók

  1. „mit Solisten mehr anzufangen wusste als mit dem kollektiven Klangkörper“ jaja, das dachte ich auch bei HK Grubers Klavierkonzert vom Samstag. Sehr typisch für Sie als Antipathetiker ist die Kritik am Jubelfinale. Es gibt doch kaum was Schöneres als das Finale von Mahlers Siebter. In den leise ausklingenden Finales, bei Brahms angefangen, kann man ja durchaus etwas Artifizielles, vom Schema Diktiertes entdecken, nur dass das Schema in diesem Fall Melancholie hieße statt Friede, Freude, Eierkuchen.

  2. danke ür Link, kannte ich natürlich, angeblich soll, so erzählten mir Freunde, die gestern in dieser gräßlichen Faustinszenerung waren, und gefragt haben, dass ein Sänger krank sein soll. Bei einer Probe doch völlig schnuppe :-(( Ich gehe die Woche drauf

  3. wolte morgen Abend zum Probenbesuch Tod in Venedig gehen, fällt jetzt ohne Begründung aus. M.E. zum ersten Mal, was ist da passiert. Kennen Sie die Oper, hatte mal jetzt bei youtube mal reingehört, hört sich sehr gut an…

  4. hatten wir ja beide einen interessanten Abend. Ich, gestern Edward. Hat mich sehr begeistert, vor allem die Musik und die Sänger. Leichte Vorbehalte gegen die Inszenierung, manchmal zu plakativ und klischeehaft z.B. Brück/Poppe. Was ich ausgesprochen schwach fand, war das Libretto, wie kann man so hölznerne Texte schreiben? Interessant das Publikum, zwar viele vielee schwule, viele junge Menschen, und viele, die ich eher in einer Taviata usw. erwartet hätte. Sehr starker Applaus

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