3.1.2016 – Zwingend: Erwin Schulhoff und Schostakowitsch bei Spectrum Concerts

Mögen andere Berufstätige gemächlich ins neue Jahr schlurfen – diese Musiker legen mit 250 Prozent los: Beim ersten Termin 2016 der Spectrum Concerts, der hochgelobten, stets gefährdeten, ewig jungen  Kammermusikreihe, die bald 30 Jahre alt wird, gibt es nicht nur vier Werke des deutsch-böhmisch-jüdischen Komponisten Erwin Schulhoff, die bereits ein Konzert füllen würden. Im zweiten Programmteil erklingt im Kammermusiksaal der Philharmonie zudem das stalinpreisgekrönte Klavierquintett g-Moll op. 57 von Dimitri Schostakowitsch aus dem Jahr 1940.

Prokofjew mäkelte zwar, in Schostakowitschs Quintett sei jeder Ton kalkuliert. In keinem Takt geht Schostakowitsch ein Risiko ein. Wenige Jahre, nachdem Schostakowitsch wegen westlicher Dekadenz in die Schusslinie der Prawda geraten war, wäre das ja auch verständlich gewesen. Aber das Quintett ist, trotz äußerlicher Brillanz und einer gewissen Glätte, durchaus abgründig und zwiespältig. Es beginnt mit Präludium und Fuge, und im Unterschied zu Bach ist bei Schostakowitsch die Fuge klangschöner und emotionaler. Das Brodeln unter ihrer gedämpften, verschatteten Oberfläche springt den Hörer an und bleibt auch bei den drei eingängig scheinenden Sätzen präsent, die noch folgen: einem Scherzo mit Chatschaturjanklingeln, einem Intermezzo, in dem der Hörer sich ständig fragt, aus welchem herzzerreißenden Film er diese Musik bloß kennt, und einem Finale, das über elegische Felder hinweg beschwingt bis triumphal klingt. Die Musiker Boris Brovtsyn, Valeriy Sokolov, Maxim Rysanov, Torleif Thedéen und Eldar Nebolsin spielen das Stück mit ausdauernder Brillanz – schöner Ton aus tiefster Finsternis.

Keine Frage, dass der Erwin Schulhoff der 20er Jahre sich in solche musikalischen Sphären kaum je begeben hätte. Seine vier Werke aus den Jahren 1924 bis 1927 sind grundverschieden, aber jedes auf eigene Weise kompromisslos. Es ist keine moralische Rehabilitation, sondern musikalisch zwingende Wiederentdeckung, wenn diese Werke des NS-verfolgten, 1942 im Internierungslager Wülzburg zu Tode gekommenen Komponisten gespielt werden. Vor einigen Wochen waren im Konzerthaus Lieder und Streichquartette von Schulhoff zu hören.

Wenn man Schulhoffs Duo für Violine und Violoncello (1925) hört, fragt man sich, warum diese Besetzung nicht viel populärer ist. Dialogischer als dieses Janáček gewidmete Werk kann Musik nicht sein: Der Geiger Sokolov und der Cellist Jens Peter Maintz streichen sich die Bälle zu, dass der Funke sofort aufs Publikum überspringt, ein Sammelsurium von Streicherglück, in dem das flageolettselige Cello reichlich Daumeneinsatz verlangt.

Die 2. Sonate für Violine und Klavier (Brovtsyn und Nebolsin) klingt demgegenüber etwas schrubbiger, der Geigenpart erinnert an Hindemiths Motto: Tonschönheit ist Nebensache. Packend ist das Andante mit schweren Streicherseufzern über dunklen Glockenschlägen des Klaviers. Vor allem aber fasziniert die einheitliche Wirkung dieser Sonate, die aus einer kleinen, in vielen Gestalten auftauchenden Figur aus drei Tönen resultiert. Und es erstaunt, wie unbeirrt der ganz unneoklassizistisch klingende Schulhoff an klassischen Formmodellen festhielt – ähnlich wie in dem ebenfalls viersätzigen Streichsextett op. 45, in dem der Bratscher Philip Dukes die Besetzung komplettiert. Im ersten Satz schießt die Zwölftonskala in den Himmel; später insistiert die erste Geige (Brovtsyn) auf einem Vier-Ton-Motiv, dass es fast an den späten Schostakowitsch erinnert. In den folgenden Sätzen gibt es zwar gelegentlichen Leerlauf, aber namentlich im zweiten und vierten Satz macht sich ein immer heftigeres Drängen zum Verstummen bemerkbar, dass es dem explosiven Kopfsatz ein packendes Pendant gegenüberstellt.

Zum Einstieg in den überreichen Abend brillierte der Pianist Eldar Nebolsin mit Schulhoffs Fünf Jazz-Etüden, die bereits im Sommer bei Spectrum zu hören waren. Diese Stücke darf man (wie alles, was europäische Komponisten in den 20er Jahren, etwa Milhaud oder Ravel, Jazz nannten) nicht mit der Klavierkunst eines Art Tatum vergleichen, es sind bis in die letzten Fasern durchkomponierte Artefakte. Nebolsin zaubert sie, mit Pflaster am linken Mittelfinger, virtuos vors Ohr des Hörers: vom nebelhaften Blues über den perlenden Tango bis zur ausgeflippten Toccata sur le Shimmy „Kitten on the Keys“. Schulhoff ist tatsächlich unerschöpflich.

Eine Aufzeichnung des Konzerts wird am Dienstag, den 5. Januar, auf Deutschlandradio Kultur gesendet. Die Schulhoff-Stücke erscheinen im September auf CD.

Die nächsten Spectrum-Konzerte gibt es am 27. April und 13. Mai.

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2 Gedanken zu „3.1.2016 – Zwingend: Erwin Schulhoff und Schostakowitsch bei Spectrum Concerts

  1. Da sind Sie ja auf einer Linie mit dem von mir am meisten verachteten Kritiker im Kulturradio vom RBB. Hat der scheinbar ab und zu doch mal lichte Momente 🙂

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