29.11.2016 – Singgehaltvoll: Marc-André Hamelin im Kammermusiksaal

Wie dem Spinat sein Eisen-Image, so eilt dem Kanadier Marc-André Hamelin der Ruf voraus, der technisch beste Pianist der Welt zu sein. Das mag, im Gegensatz zum Spinat, auch nicht falsch sein, allein wen interessiert’s? Musik ist ja kein Leistungssport mit Platzierungsabsicht. Außerdem schwingt manchmal ein maliziöser Unterton mit, so als wäre ein Pianist mit hohem Technikgehalt kein Künstler, sondern eine Maschine.

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Samuil Feinberg

In den Kammermusiksaal hat Hamelin, wie es scheint, kein Konzeptprogramm mitgebracht, sondern einen Haufen guter Musik – in dem sich dann allerdings doch interessante Querverbindungen erhören lassen. Der Saal ist nicht ganz ausverkauft, aber sehr gut besucht, auch Igor Levit ist da, mit rotem Schal in Block A links.

Connaisseurs sind selbstverständlich nicht wegen Beethoven oder Chopin gekommen, sondern wegen Samuil Feinberg (1890-1962).

Dessen Sonaten Nr. 1 A-Dur und Nr. 2 a-Moll strotzen von imposanten Intervallsprüngen, scheinen aber harmonisch weniger kühn als Skrjabin, mit dem sie verglichen werden, nicht nur weil Feinberg sie kurz nach dessen Tod 1915 komponierte. Das ist aber nicht unbedingt ein Mangel, denn pianistisch sind diese Stücke nicht nur ähnlich virtuos wie Rachmaninow, sondern auch ähnlich gesangvoll. Eine allgegenwärtige Viertonfigur bleibt das ganze Konzert über im Ohr. Eine Petition für mehr Feinberg in Klavierrezitals würde der Konzertgänger unterzeichnen.

Schön präludiert wurde diese hörenswerte Musik von Joseph Haydns Sonate C-Dur Hob. XVI:48, die wie eine Fantasie beginnt, mit schwerelosen Arpeggien und Läufen wie in einem Traum. Wie akzentuiert und witzig Hamelin den technisch leichten Haydn spielt, zeigt seine künstlerische Klasse.

Eher irritierend wirkt es, dass auch Ludwig van Beethovens Appassionata, die Sonate f-Moll op. 57, die zu Haydn und Feinberg passt wie die Faust aufs Auge, für Hamelin zu leicht scheint. Jedenfalls treiben Beethovens Zweiunddreißigstel Hamelin keinen Schweißtropfen auf die Stirn. Diese (dem äußeren Anschein und dem absolut kontrollierten Klangbild nach) völlige Mühelosigkeit fördert jedoch andere Qualitäten zutage. Mag der Kopfsatz auch frei von Donnergrollen und das Finale ohne alle Raserei sein, blüht hier unerhörte Kantabilität. In der Kombination mit dem erdigen, dunklen Klang des Bösendorferflügels, auf dem Hamelin erfreulicherweise spielt, ist das durchaus reizvoll.

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Klavierfarben nach Skrjabin

Der immens farbenreiche Bösendorfer wird dann unter den in der Tat stupend beweglichen Fingern von Hamelin in Alexander Skrjabins 7. Sonate op. 64 (der sogenannten Weißen Messe) zu einem alles andere als geheuren Tier, berstend von Lebensenergie, dabei giftig zuckend.

So einiges davon wird dann auch, und das ist doch überraschend, in Frédéric Chopins 2. Sonate b-Moll op. 35 hörbar. Die Urgewalt des Bösendorferbasses, den Hamelin im Kopfsatz schließlich von der Kette lässt, erinnert frappierend an Skrjabins toxische Basslinien. Hamelin spielt diesen Kopfsatz gefühlt circa siebenmal so schnell wie Grigory Sokolov, von dem der Konzertgänger die b-Moll-Sonate heuer zweimal gehört hat, in Berlin und in Bozen; und das war nun natürlich ein musikalisches Geschehen, nach dem man sich diese Sonate vielleicht nie wieder anhören sollte.

Aber Vergleiche beiseite, erst recht solche abstrusen. Der nocturnehafte Mittelteil des Scherzo klingt bei Hamelin weniger herzzerreißend als federnd, ja tänzerisch und der plötzlich matte pp-Schluss dieses Satzes fast witzig. Mit dem gläsernen Des-Dur-Mittelteil des Trauermarsches, dessen hauchdünner Klang an ein Kinderklavier aus fernster Ferne erinnert, und dem anschließenden Höllencrescendo aus tiefsten Tiefen erreicht der Klavierabend dann auch den ersehnten emotionalen Höhepunkt. Und das gespenstische Schlusshuschen des Finalsatzes schließt in gewisser Weise den Kreis zu Haydns fantastischem Parlieren am Beginn des Rezitals.

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Ein Gedanke zu „29.11.2016 – Singgehaltvoll: Marc-André Hamelin im Kammermusiksaal

  1. da hatte ich dann doch den „besseren“ Abend gestern. Flores hat gestern Abend DEN Raul gesungen, so toll war er in den beiden letzten Bildern noch nie. Alle anderen genauso grandios, wie immer. Nur leider war Seth Carico nicht so gut, wie Welton als Valentine Vater. Was wiederum bemerkenswert war, zwar ein paar Huster mehr, als in den beiden anderen Vorstellungen, aber war erträglich. Bemerkenswert aber wieder ein gebanntes Publikum trotz Dienstag und der Länge.
    Ein Tip, Sonntag Live Stream sowohl Staatsoper, Manon, und München Lady Macbeth von Mszenk

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