27.11.2016 – Gottsuchend: René Jacobs, Freiburger Barockorchester, RIAS Kammerchor spielen Mozart und Haydn

el_greco_-_a_boy_blowing_on_an_ember_to_light_a_candle_soplon_-_wga10422Ja, ist denn heut schon Ostern? Das ist mal ein Adventsprogramm, mit dem das Freiburger Barockorchester und der RIAS Kammerchor unter René Jacobs im ausverkauften Kammermusiksaal gastieren: durch den Tod ins Leben. Erst das Mozart-Requiem, dann Haydns vor Freude sprühende Harmoniemesse.

Die Kombination ist nicht nur klanglich interessant (aufgrund ihrer stilistischen Gegensätze), man könnte sie zugleich religiös musikalisch nennen. Vor einem Jahr, ebenfalls in der Adventszeit, baute das DSO mit Manfred Honeck um Mozarts Requiem ein Programm, das den Hörer durch Überwältigung Gott finden ließ. René Jacobs dagegen sagt: Gott zu suchen ist wichtiger als Gott zu finden, weil er ungreifbar bleibt.

Der Weg durch die tiefste Nacht ins Licht des Advents ist zunächst ein Sturzflug. Mozarts Requiem d-Moll KV 626 mag, trotz zweifellos hoher Tempi, gar nicht so rasant gespielt sein, wie es sich hier anfühlt. Vielleicht ist auch einfach nur der klare, kontrastreiche, akzentgeschärfte Sound so mitreißend, zu dem Jacobs das Orchester anhält. Kein Trost, nirgends. Man hält die Luft an und ist schon in die apokalyptische Sequenz gerissen, zum Donnerhall des Confutatis und den Peitschenschlägen des Rex tremendae. Wenn der Chor dann aber innehält und bittet: salva me, fons pietatis, wird die Sehnsucht nach dem Ungreifbaren so groß, dass es in der Musik berührbar scheint.

Der Vokalpart ist im Requiem so dominant und der RIAS Kammerchor so überragend disponiert: agil, durchhörbar, klangschön, dass er hier an erster Stelle genannt werden muss. Trotz kleiner Besetzung ist er zu gewaltigen Steigerungen fähig, nicht durch Phonzahl, sondern durch Abstufung. Die Solisten Sophie Karthäuser, Marie-Claude Chappuis, Maximilian Schmitt und Johannes Weisser fügen sich mit vier charismatischen Stimmen organisch ein und klingen, wo es sein soll, glanzvoll durch. Manchmal fast raue Klangschönheit auch beim Freiburger Barockorchester, das, ohne aus der eher begleitenden Funktion des Orchesters auszubrechen, instrumentale Glanzlichter setzt. Dass ein Sackbutt so sauber intonierbar ist, wie es Catherine Motuz im Tuba mirum (und die ganze Posaunengruppe in der Communio) demonstriert, hätte der Konzertgänger nicht gedacht.

georges_de_la_tour_-_the_magdalen_with_the_smoking_flame_-_google_art_projectDass dieses Requiem so viel instrumentales Glück verströmt, ist gewiss auch ein Verdienst von Pierre-Henri Dutron. Der junge französische Komponist hat Süßmayrs Ausarbeitungen und Ergänzungen des unvollendeten Requiems dezent, aber entschieden überarbeitet. Wer mit so wenig so viel erreicht, verdiente einen Vertrauensvorschuss: Gern würde man einmal Dutrons eigene Neukompositionen der drei Süßmayr-Abschnitte Sanctus, Benedictus und Agnus Dei hören.

Hier also die im besten Sinn suchende Bearbeitung: Der Klang wirkt insgesamt schlanker, aufgefächerter, weniger behäbig, aber auch dunkler, etwa durch die stärkere Hervorhebung der zart und menschlich klingenden Bassetthörner (Lorenzo Coppola und Clemens Teuerwein). Bassetthörner und Fagotte sind das weiche Wachs, aus dem die Stimmen schließlich die lux aeterna des Advents entzünden. Der sehr lang gehaltene, flackernde, harmonisch irritierende Schlussakkord hat etwas von einem unbändigen Flackern, gefährdet, aber unauslöschlich.

Dahinter steht auch René Jacobs‘ unauffällige Gestaltungskunst: Er drückt dem Klang seinen Stempel auf, obwohl man ihn als Person ja kaum bemerkt. Schaut man hin, sieht man ihn in seinem etwas lustigen Ruderstil dirigieren. Das Klangergebnis, so präzise wie anrührend, spricht für sich, auch wenn der Konzertgänger (Achtung, Exkurs, der nichts zur Sache tut) immer an Louis de Funès‘ grandioses Arme-Gadget denken muss:

(Konduktologischer Nachtrag aufgrund diverser Nachfragen: Die de-Funès-Assoziation bezieht sich auf Jacobs‘ vorherrschende Parallelführung beider Hände bei gleichzeitiger Evokation einer wie aus der Pistole geschossenen Präzision.)

In der zweiten Hälfte des Programms, Joseph Haydns Missa B-Dur Hob XXII:14, stellen sich dann keine Versionsfragen mehr, und der Orchesterapparat spielt eine ganz andere Rolle als bei Mozart. Die Harmoniemesse klingt so hochklassisch, dass Mozart tief barock wirkt.

Vor allem aber ist diese letzte Messe Haydns (1802) so voll von diesseitiger Fröhlichkeit, dass sie schon wieder jenseitig ist. Denn sie ist keineswegs unreligiös, auch nicht skandalös lustig, wie Mendelssohn meinte: sondern sucht Gott in der Freude.

Schon aus dem unzerknirschten Kyrie spricht die Gewissheit, dass Gott sich erbarmen wird. Selbst das Benedictus ist ein Allegro, man sieht die Palmblätter förmlich durch die Luft wirbeln. Bildhaft und deiktisch ist Haydns Wort-Ton-Kunst sogar da, wo sie das Unsichtbare verklanglicht: Man höre sich nur das Wort invisibilium im Credo an, da sieht man die Unsichtbarkeit.

Der vielleicht schönste Satz, das tiefgründig heitere Agnus Dei, ist ein Gebet, das den Jubel kaum zurückhalten kann – im Bewusstsein, dass es gewiss, gewiss erfüllt wird. Ostern, Advent.

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