Der Konzertgänger ist ein gut funktionierender Roboter: Die Mondarie aus Dvořáks Rusalka lässt ihn automatisch weinen, Schuberts Wanderer versetzt ihn automatisch in transzendentale Obdachlosigkeit und glückselig-tödliche Verzweiflung, Purcells One Charming Night entfacht in ihm automatisch feurige Lust auf seine Frau. Was den Konzertgänger betrifft, hätte man also die barocke Affektenlehre nie verdammen müssen, höchstens ein wenig modifizieren; denn auch die Klänge von Helmut Lachenmann oder Salvatore Sciarrino affizieren seinen Organismus automatisch.
Dass von dem süßen Roboter Myon, den die Komische Oper in Kooperation mit der Beuth-Hochschule auf die Opernbühne bringt, keine großartigen Kunststücke zu erwarten sind, hat der Konzertgänger bereits der Presse entnommen; auch der Roboter-Erfinder Professor Hild, alles andere als ein irrer Daniel Düsentrieb, versichert es von Anfang an. So hält die Enttäuschung sich von vornherein in Grenzen, zumal Professor Hild später beweist, dass er selbst nicht schlecht singen kann.
In der Tat ist Myon nicht gerade eine Rampensau, er kann aber recht gut sitzen und mit dem Kopf wackeln; später gelingt es ihm auch, zum Trinklied aus La Traviata den Takt zu schlagen, dirigieren wäre zu viel gesagt. Das erledigt Arno Waschk, der sich auch ans Klavier setzt und die Sänger bei ihren unverdrossenen Versuchen begleitet, dem humanoiden Dingsbums ein gewisses Verständnis für die Macht des Kraftwerks der Gefühle zu implementieren. Der Konzertgänger fühlt sich an seine Versuche als Vater erinnert, gewissen anderen humanoiden Dingsbumsen die Faszination klassischer Bildung, zumal Musik zu vermitteln. Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht, lautet ein afrikanisches Sprichwort, das Remy Largo in seinen Babyjahren zitiert; einem Buch, dessen Erkenntnisse anscheinend auf Roboter zu übertragen sind.
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Dafür gibt es einen hübschen musikalischen Querschnitt durch das Repertoire der Komischen Oper, inklusive der Kinderopern Des Kaisers neue Kleider von Miloš Vacek (Rinke, ranke, rinke ranke Rosen, niemals ohne, ohne die Hosen) und der Schneekönigin von Pierangelo Valtinoni; bekanntlich gibt es hier die besten Kinderopern der Stadt, wenn nicht der Welt.
Zwischendurch allerdings etwas viel Geplänkel, überlange Rezitative sozusagen, denn die Performance der Gruppe God Squad besteht vor allem darin, Stichworte für sehr allgemeine Reflexionen über das Menschsein überhaupt und an sich und den Roboter zu geben. Da fühlt der Abend sich manchmal wirklich an wie stundenlanges Am-Gras-Ziehen. Trotzdem eine sympathische Veranstaltung, man hätte das Ganze ja auch hypertheoretisch aufblasen können als Post-Anthropozän-Humanoid-Projekt. Lieber so herum, spielerisch, auch wenn es mitunter etwas zäh ist.
Der berührendste Moment des Abends war ein sehr menschlicher: Die Mondarie aus der Rusalka widmeten die Musiker ihrer Kollegin Ina Kringelborn, die vor wenigen Tagen im furchtbar jungen Alter von 31 Jahren gestorben ist; kein Akkuwechsel konnte sie retten, erklärt die Sängerin dem verständnislosen Roboter.