25.2.2016 – Arachnophonia: Rattle und die Philharmoniker spielen Roussel, Szymanowski und Rameau

Insektenalarm in der Philharmonie! Mit Geigenglissandi lässt die Spinne ihren Faden herab, zum Marschrhythmus der Kleinen Trommel ziehen die Ameisen ein, die Flöte bläst sanft den Schmetterling durch den Garten. Albert Roussels Le Festin d’araignée (1913) ist ein Wunder an Farbigkeit, ein gefundenes Fressen für die Instrumentenzauberer der Berliner Philharmoniker unter Simon Rattle. Im Fressen und Gefressenwerden endet auch das Stück, diesen Karneval der Insekten könnte nämlich ein Kinderschreck komponiert haben: Da flattert der Schmetterling aufs herrlichste, und… hat ihn schon, um mit Donald Duck in der Übersetzung von Erika Fuchs zu sprechen. Die Spinne wird ihrerseits von der Gottesanbeterin verzehrt, und das kurze Leben der Eintagsfliege (Celesta) endet in Nacht und Trauermarsch. Vergänglichkeit der Schönheit, flüchtig wie Musik.

Acht Arme scheint auch Konzertmeister Daniel Stabrawa zu haben, der in Karol Szymanowskis Violinkonzert Nr. 2 (1933) als uneitler Solist im geigerischen Dauerlauf brilliert. Szymanowski hat sich in diesem späten Werk von bäuerlichen musikalischen Traditionen der Goralen in der Tatra inspirieren lassen. Aber obwohl diese Musik mit ihren eindringlichen, fast penetranten Terzwiederholungen stampft und schrubbt, Lichtjahre entfernt von den sirrenden Visionen des Vorkriegs-Szymanowski, ist sie softer und geschmeidiger als Bartók-Folklore: Allegretto barbaro, volkstümlich aus dem Geist der Décadence. Ihr Intro ist so schwebend wie die Andantino-Brücke zum Schlusstanz, und ziemlich genau in der Mitte klopft die Kadenz an Himmelsgefildetüren.

Reines Glück sind Les Boréades von Jean-Philipppe Rameau, ein Lieblingsstück von Simon Rattle, der die hier aufgeführte Suite aus Rameaus letzter Oper (1763) selbst zusammengestellt hat. Obwohl man jedes Stück wiedererkennt, ist es völlig andere Musik als der spektakuläre, ruppige Rameau von Teodor Currentzis und MusicAeterna, der vor einem Jahr im Radialsystem zu hören war (mit Polonaise-Zwang fürs beklommene Auditorium): Bei Rattle ist alles filigran und ausgewogen, dafür paradoxerweise umso kontrastreicher. Denn es gibt hier nicht nur Stürme, sondern auch jede Menge sanfte und heitere Winde.

Wie es sich für eine Oper über Liebes- und Standeshändel unter Windgöttern gehört, dominieren die Holzbläser, die nicht umsonst auf Englisch winds heißen. Die damals neue Klarinette kommt vor, von der Rameau gleich in der Ouvertüre reichlich Gebrauch macht (Wenzel Fuchs). Später zarte Flötenklänge (Mathieu Dufour), in der Gavotte dann zwei Piccoloflöten, die von den Fagotten immer wieder in die Luft gestoßen werden. Herrlich der brummige Ohrwurm im Contredanse en Rondeau; und in der brausenden Suite des Vents freut sich die ehrwürdige Windmaschine, mal etwas anderes zu erleben als immer nur Alpensymphonie und Holländer. Die bizarr stockende Bourrée: Les Vents perdent leurs forces lässt Rattle gleich zweimal spielen, um das staunende Publikum zu überzeugen, dass man sich nicht versehentlich zu Strawinsky verlaufen hat.

Mit einem hat Currentzis Recht: Rameau zaubert Licht in die Herzen seiner Hörer. Ein beglückendes Konzert der Berliner Philharmoniker.

Nochmal am Freitag und Samstag. Noch einige Karten erhältlich. Samstag auch in der Digital Concert Hall.

Dieses Konzert wurde auch von Kultursenator Schlatz rezensiert.

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9 Gedanken zu „25.2.2016 – Arachnophonia: Rattle und die Philharmoniker spielen Roussel, Szymanowski und Rameau

  1. Hab gerade im TSP auf Ihren Kommentar etwas zu meinem Erlebnis gestern Abend geschrieben. War ebenso grandios, vor allem Chor und Orchester, bis auf Torsten Kerl, der mich sehr überrascht hat, positiv, bis auf sein Gebet, ich fiel von einem Schrecken in den anderen, vom ersten Ton an daneben, dann zwei furchstbare Intonationen zwischendurch, war aber brav und hab nicht gebuht

    • „Rienzi“… den hab ich an der DO noch nicht gesehen, nur vor Jahren in Wien. Das mit Kerls Gebet ist natürlich Pech, aber wenn er ansonsten gut war, dann find ichs richtig, dass Sie aufs Buhen verzichtet haben, das wird der Arme ja selbst bemerkt haben… und manchen Hörern fällt ja sowas nicht auf und sie genießen es trotzdem.

      Was das unbekannte Repertore angeht, tun sich die BP natürlich leichter als andere Orchester, da kann es leider schon mal etwas leer werden, wenn etwa das RSB oder KHO Lutoslawski spielt.

      Sie haben Recht mit Ihrem Bedauern im TSP, dass die Britten- u.ä. Aufführungen nach den Premieren bald so leer werden. Viele sporadische Operngänger (einmal im Jahr für einen schönen Abend) ahnen gar nicht, dass sie bei Britten oder Janacek eventuell viel froher und aufgeregter würden als bei so manchem Italiener,.

    • Keine falsche Bescheidenheit!
      Ja, Currentzis Rameau ist grandios, wenn auch wie gesagt völlig andere Musik. Bei dem 1. Contredanse war es extrem, aber eigentlich alles. Keine stilisierten, sondern echte, wilde Tänze. Vielleicht etwas unhöfisch, aber mitreißend.
      Ich höre gern solche konträren Ansätze, ohne zu entscheiden.
      Ebenso Rameau und Holländer.

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