24.9.2016 – Steinerweichend: Konzerthausorchester, de Billy, Isabelle Faust spielen Dutilleux, Bartók, Ravel

Dutilleux-Parallelaktion in Berlin: dreimal Métaboles in der Philharmonie, dreimal Le Double im Konzerthaus, jeweils von Donnerstag bis Samstag.

transverse-line-by-wassily-kandinskyDie Le Double genannte 2. Sinfonie (1959) von Henri Dutilleux, mit der das Konzerthausorchester unter Bertrand de Billy den Abend eröffnet, ist nicht nur hörenswert, sondern auch sehenswert: Ein Mini-Orchester von 12 Solisten inklusive Pauken, Celesta, Cembalo bildet einen inneren Ring ums Dirigentenpodest, das „normale“ Orchester den äußeren Ring. Der innere Ring gibt die Anstöße, zunächst ein einfaches hinaufhuschendes Motiv der Klarinette (Ralf Forster), Pauke (Michael Oberaigner), Violine (Sayako Kusaka), die das Orchester aufnimmt, auflädt, wachsen und blühen, schwellen und schwelgen lässt. Das hat weniger Raumklang-Effekte als dass es ungemein organisch anmutet, Wucherungen und Proliferationen ohne jeden seriellen Schnickschnack. Dutilleux hat die avantgardistischen Zwangsneurosen der 50er Jahre elegant an sich vorbeigleiten lassen.

Der Reihe nach treten andere Solisten aus dem inneren Kreis hervor, etwa die Bratsche (Ferenc Gabór) und die Trompete (Sören Linke). Von fern an Bartók erinnernd der nächtliche zweite Satz, in dessen erlesene Akkorde nicht etwa die Celesta hineinglitzert, sondern das Cembalo (Christine Kessler). Überhaupt das Cembalo: Allein der Sacre-Groove des 3. Satzes mit integriertem Cembalo ist das Kommen wert!

50Die fünf Jahre später komponierten Métaboles scheinen heller und mögen noch prägnanter sein, dafür strömen die Klänge im dunklen Le Double freier. Aber was sollen die Vergleiche, ein Stück ist so wunderbar wie das andere. Gerne würde man Double deux fois hören. Zwar war beim Stammpublikum des Konzerthauses vor Beginn die eine oder andere versteinerte Miene zu sehen angesichts dreier Werke aus dem 20. Jahrhundert, selbst wenn es sich um Ohrenschmeichler der „klassizistischen Moderne“ handelt. Der eine oder die andere mag nur gekommen sein aufgrund der Devise: Lieber die Ohren verrenken als dem Abo-Büro was schenken! Doch Dutilleux‘ klangsinnliche Délicatesse und Instrumentationsmagie verzaubern auch den Verstocktesten.

Und dann folgt ja noch Isabelle Faust, deren Spiel auch ein versteinertes Ohr erweichen würde, mit einem weiteren Werk vom Instrumentations-Parnass. Dabei hat Béla Bartóks 2. Violinkonzert (1938) einige regelrechte Schockeffekte: Der auf Harfenwogen frei dahinrhapsodierende Beginn, von Faust mit innigem Strich vorgetragen, wird jäh unterbrochen von Schüssen aus dem Geigenkasten. Das Kontrastprinzip zieht sich durch, bald singt die Musik sich lyrisch aus, dann springt sie wild im Quadrat. In beiden Fällen sind Isabelle Fausts klare Linien nah an der Vollkommenheit. Die Kadenz ist von einer spröden Wärme, die tief beeindruckt.

movementDas Konzerthausorchester spielt unter de Billys kompetenter Leitung kraftvoll kontrastreich, mit wohldosierter Schärfe und in perfekter Interaktion mit der Solistin. Kaum hetzen die Posaunen die Geige, beginnt diese aufs rührendste zu singen. Im zweiten Satz tragen Harfe, Flöte, Klarinette, Oboe, Celesta die Geige auf Silberfittichen.

Feinsinnig und passend Isabelle Fausts Zugabe, das Doloroso von György Kurtág, mit einem Strich, der die Fragilität des Klangs zum Äußersten treibt.

Und umso heftiger die folgende Attacke, Maurice Ravels La Valse als Hochdruck-Alb vom ersten Ton an: statt Wehmut sarkastischer bis vergifteter Schwung. In der Vorstellung eines phantastischen und unentrinnbaren Wirbelns (Ravel) betont de Billy nicht das Phantastische, sondern das Unentrinnbare. Eine sehr direkte, fast brutale, aber eindrucksvolle Lesart.

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7 Gedanken zu „24.9.2016 – Steinerweichend: Konzerthausorchester, de Billy, Isabelle Faust spielen Dutilleux, Bartók, Ravel

      • na ja, denn viel Vergnügen, bisher bin ich sehr im Zweifel, musikalisch hört es sich gut an, mit der sog. Inszenierung kann ich nichts aber auch überhaupt nichts anfangen. Ich hab bisher keine Karten, warte erstma auf Sie 🙂 Gehen Sie zum Konzert am Freitag?

        • ich glaube, Sie werden Spaß haben, zwar kurzer und heftiger Beifall, aber doch sehr hörenswert, und auch letzten Endes ne recht passable Inszenierung, auch wenn ich manches nicht nachvollziehen kann, werde im Oktober gehen

  1. haben wir ja beide, etwas steinerweichendes gehört. Ich war gestern im Maskenball, war auch teilweise so, dank der grandiosen Sänger und dem Dirigat. Bin jetzt richtig gespannt auf Freitag, Schostakowitsch und Mahler

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