23.12.2016 – Weihnachtsbrätlich: Humperdincks „Hänsel und Gretel“ mit RSB und Janowski

Richard Wagner,  Richard Strauss … was kann danach noch kommen?

Humperdinck.

Nach dem schon legendären Wagnerzyklus und zweimal Strauss wagt das Rundfunk-Sinfonieorchester unter Marek Janowski sich wieder an eine konzertante Opernaufführung. Auf den Tag genau 123 Jahre nach der Uraufführung durch die Staatskapelle Weimar unter Richard Strauss gibt es in der Philharmonie Engelbert Humperdincks Kinderstuben-Weihfestspiel Hänsel und Gretel.

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Was wohl nur in Berlin denkbar ist: Gleichzeitig könnte man das Stück auf der Bühne der Deutschen Oper erleben (wo der Konzertgänger am Sonntag war). Es ist aber musikalisch mehr als lohnend, Hänsel und Gretel einmal konzertant zu erleben. Nicht etwa, weil die DO-Aufführung liebloses Weihnachts-Pflichtprogramm wäre (im Gegenteil), sondern weil die Musik in der Oper manchmal eher zu erahnen als zu hören ist. Erstens wegen des Akustikschlunds Orchestergraben, zweitens wegen des dichten Tannenwaldwebens aus Kinderstimmen und, schlimmer noch, Elternstimmen, die flüsternd die Handlung erklären zu müssen meinen.

Das Rundfunk-Sinfonieorchester ist der Star bei dieser konzentrierten Aufführung, wie es bereits beim Wagnerzyklus war. Fein und deutlich erklingt das kunstvolle Geflecht von Stimmen und Gegenstimmen schon in der  Ouvertüre, in der man kindlich verblüfft erschrickt, wenn klingelnde Schelle und bengelhafte Trompete den herrlichen Abendsegen-Choral jäh unterbrechen. Himmlisches Leuchten und hexliches Flackern in der Überleitung vom ersten zum zweiten Akt. Am Abend betten wunderbar sanfte Streicher Hänsel und Gretel ins warme Moos, ehe das Orchester mit viel Bläserglanz eine mächtige choralgoldene Schutzmauer um die verirrten Kinder baut.

Überhaupt: Polyphones Handwerk, rasselnder Rossini-Schwung, kinderliedelnde Volkstümlichkeit und wonnige Wagner-Wogen traulich Sait‘ an Sait‘, wo gibt es das außer bei Humperdinck? Beim Auftritt der Mutter meint man gar ein paar Sekunden Tristan zu hören. Duftig und feurig zugleich das Erscheinen des Lebkuchenhauses, eine Mischung aus Klingsors Garten und Operettenschwung im besten Sinn. Die Leitmotivik ist dagegen bei Humperdinck trotz aller Wagnerei nur rudimentär; aber toll, wie am Schluss das Hexenthema im Fagott verschmort.

Kurzum: Reisbrei! Reisbrei! statt Rheingold, Rheingold! Und im Waldweben heißt es Kuckuck, Kuckuck, Eierschluck. Trotzdem, oder gerade deshalb, gehört der zweite Akt von Hänsel und Gretel unbedingt zur Geistesgeschichte des deutschen Waldes.

Взгляд в лесу в сумерках

Von himmlischer Zartheit schließlich ist der Moment, wenn über hohen Streichern, Flöten und Horn der rührend schöne Kinderchor der Staatsoper erklingt, einstudiert von Vinzenz Weissenburger. Mit der Power der Sachlichkeit lässt indes Marek Janowski das RSB weihnachtlich leuchten, der Dirigierstab wird bald zum Kerzenanzünder, bald zum Sternspritzer, wo nötig auch zur Rute. Volle Bescherung, von schön falscher Rührseligkeit bis zum dramatisch brennenden Tannenbaum.

Die Sänger sind nicht besser als in der Aufführung der Deutschen Oper, aber durchweg erfreulich. Vor allem Alexandra Steiner als Gretel (schwarzhaarig im roten Kleid) entzückt mit ihrer Agilität und Gestaltungskraft, die kurzfristig eingesprungene Katrin Wundsam als Hänsel (blond im schwarzen Hosenanzug) steht kaum nach. Beide Stimmen sind einander nicht unähnlich, eher dramatisch als kindlich, harmonieren aber wunderbar etwa im Duett des zweiten Aktes. Und schauspielerisch sind beide ein Vergnügen, das nervig hampelige Brüderlein ebenso wie das provozierend vernünftige Schwesterlein.

Wagnersches Format bringt Ricarda Merbeth als hochdramatische Mutter ebenso ins Spiel wie Albert Dohmen als Vater, halb Osmin (tralalala), halb Sachs, vielleicht manchmal etwas hemdsärmelig. Und dass Humperdinck ein Lehrer von Kurt Weill war, kommt einem nicht mehr ganz so unglaublich vor, wenn man schließlich Christian Elsners imposant überprononcierte Hexe hört, die das Gretchen zum Brätchen machen will (und Hänsel sowieso): fulminant deklamatorisch bis zum ruppigen Sprechgesang. Sehr witzig, nur ob es nicht hier und da etwas gesanglicher und trotzdem gruselig ginge, könnte man fragen. Die Bedenken einiger Besucher, ob eine derart stattliche Hexe sich wohl in den Ofen befördern lassen werde, erweisen sich aber zum Glück als unbegründet.

Schöner wird’s zu Weihnachten nicht mehr. Nur die Apostroph-Katastrophe in Steffen Georgis (ansonsten wie immer sehr lesenswertem) Programmhefttext muss der Konzertgänger erstmal verdauen: Jesu‘ Geburt. Und mal der Frage nachgehen, was eigentlich mit Humperdincks anderen Opern ist – denn so schlecht, wie die vergessen sind, können sie eigentlich gar nicht sein.

Und was ist eigentlich mit Humperdincks Schüler Siegfried Wagner?

Marek Janowskis letzte Konzerte beim RSB am 30. und 31. Dezember. Die schöne Hänsel und Gretel-Inszenierung der Deutschen Oper nochmal am 1. Januar. Frohe Weihnachten.

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4 Gedanken zu „23.12.2016 – Weihnachtsbrätlich: Humperdincks „Hänsel und Gretel“ mit RSB und Janowski

  1. Ich habs nicht geschafft, auch wenn die Absicht da war, aber wie gut, dass Sie waren. Apropos „letzte Konzerte“, es ist schwer zu verstehen, dass Janowski nichts mehr beim RSB plant, wie es den Anschein hat.

    • Ja, die Pressesprecherin sagte mir vorhin, dass keine Konzerte mehr geplant sind, auch wenn man nie nie sagen soll. Dass er seinem Nachfolger ganz freie Bahn machen will, finde ich sehr ehrenwert, auch wenn es fürs Publikum schade ist.

  2. ohhh 2x Hänsel und Gretel. Das hätte ich nicht getan, vor allem konzertant konnte ich es mir gar nicht vorstellen. Aber toll, wenn es so gut war. Wünsche schöne Feiertage

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