23.11.2016 – Stilbruchreich: Meyerbeers „Hugenotten“ an der Deutschen Oper

Gut, das Ding muss, wer sich nur einen Deut um die liebe Oper schert, gehört haben. Schon die Ouvertüre. Nicht nur weil die Anklänge ans Tannhäuser-Vorspiel direkt ins Ohr springen. (Nein, liebes Ohr, es ist umgekehrt: die zehn Jahre später geschriebene Tannhäuser-Ouvertüre erinnert an die Hugenotten.) Sondern auch weil Meyerbeer sich Luthers Ein feste Burg ist unser Gott zum Thema seiner Ouvertüre gewählt hat. Der Choral begegnet dann im Verlauf der Oper immer wieder, auch wenn leitmotivisch etwas viel gesagt wäre.

francois_dubois_001In katholischen Ländern stieß man sich heftig am Sujet von Giacomo Meyerbeers Les Huguenots (1836), dem Protestantenmassaker der Bartholomäusnacht im Jahr 1572. In Wien und Mailand etwa wurde kreativ umgedichtet (Die Ghibellinen in Pisa).

Aber was sollen dann erst die Protestanten sagen? Denn der Lutherchoral erklingt gleich im ersten Akt wieder, gefolgt von einem blutrünstigen Kriegslied, gesungen von einem protestantischen Ungläubigenverflucher der unangenehmsten Art, dem alten Diener Marcel. Ante Jerkunica lässt mit seinem voluminösen Bass die Wände wackeln, dieser blutrünstige Frömmling klingt wie direkt aus den tiefsten Feuern der Hölle heraufgestiegen. Ein Unstern, dennoch der heimliche Star des Abends. Seine Figur wird sich im Lauf des Abends überraschend und anrührend öffnen.

huguenot_lovers_on_st-_bartholomews_dayAus der anderen Richtung, von höchsten Himmelslichtern herab, kommt der teils fast sopranhafte Tenor des Weltstars Juan Diego Flórez, der trotz unverkennbarer Belcanto-Herkunft alle dramatischen Herausforderungen bravourös meistert. Stets schön, exakt, nie laut. Er singt den hugenottischen Edelmann Raoul de Nangis, der diese lutherisch-calvinistisch-salafistische Spaßbremse Marcel ausgerechnet zum versöhnlich gestimmten Junggesellenabschied der guten katholischen Gesellschaft nach Paris mitbringt. Ein bezeichnender Fehlgriff für den desorientierten Raoul, der nicht einfach ein typischer Tenortrottel des 19. Jahrhunderts ist, sondern wahrlich als blinde Kuh durchs Geschehen tappt, bis in sein Liebesglück im Angesicht des Märtyrertodes.

So wie diese beiden gegensätzlichen Figuren aneinandergekettet sind, so besteht Giacomo Meyerbeers prächtige Grand opéra aus den unterschiedlichsten Zutaten. Heterogen ist gar kein Ausdruck für diesen Schinken, den die Deutsche Oper Berlin, ein wenig gekürzt und dabei immer noch über fünf Stunden lang, auf die Bühne bringt. Vom Lutherchoral (der zu den calvinistischen Hugenotten gar nicht passt) bis zu frivolen Pariser Modetänzen ist alles dabei. Teils recht fett orchestriert, erklingt auf einmal völlig verblüffend die historische Viola d’amore, auf der Katharina Dargel Raoul-Florez‘ Romanze Plus blanche que la blanche hermine solistisch begleitet. Das ist ganz große Stilbruchkunst, wohl nur möglich, weil es zu Meyerbeers Zeiten diesen zu brechenden Stil einfach noch nicht gab.

Genauso unökonomisch ist die Handlung, keine Spur von straffem Musikdrama. Wenn der Page Urbain im ersten Akt einen Brief überbringt, dauert der Auftritt schon mal ein Viertelstündchen. Da geht nichts voran, aber es ist wunderbar, weil Irene Roberts so schön singt. In den ersten zwei Stunden plätschert, feiert, schwingt, tanzt, singt die Handlung so vor sich hin, stets prima anzuhören, aber ohne dass die später ausbrechenden Kräfte unter der glanzvollen Oberfläche zu spüren wären. In den Pausen wird im Foyer auch mancher Kaffee geschlürft. Gute Entscheidung, sich Koffein reinzupfeifen statt zu gehen! Denn wie die Handlung ab dem dritten Akt umschlägt, verschlägt einem den Atem. Die Massenverschwörung zum Massenmord im dämonischen vierten Akt und die Gewaltorgie im fünften Akt wirken um so eindringlicher gerade auf der Folie der vorherigen scheinbaren Harmlosigkeit.

Da ist es nur eine kleine Nebenfreude, den solistischen Auftritt der Bassklarinette im Schlussakt zu hören. Und zu begreifen: Sowas wollte unser großer, boshafter, meyerbeerhassender Musikdramatiker später auch mal machen. Hat er dann auch, nur dramatisch schlechter: in dem (egal wie gut gesungen) elend ausufernden König-Marke-Monolog, den der Tristanhörer durchstehen muss. Bei Meyerbeer ist die Bassklarinette zur Hochzeit im Angesicht des Todes der emotionale Höhepunkt.

Michele Mariotti führt das Orchester der Deutschen Oper sicher durch den Marathon. Des Staunens kein Ende über die Koordinationsleistung, dass in den grandios massiven Aktschlüssen nicht der ganze Laden auseinanderfliegt. Aber noch lieber nimmt Mariotti sich und das Orchester zurück, um den Gesang auf der Bühne ungehindert erblühen zu lassen.

Was bei dieser Oper und bei einer Sängerriege dieses Kalibers gewiss sinnvoll ist: Denn nicht nur die erwähnten Flórez, Jerkunica und Roberts sind zu loben. Olesya Golovneva als Valentine ist ausdrucksvoller Mezzo und höhensicherer Sopran in einer Person, enorm. Der erfahrenen Stimme von Patrizia Ciofi, die die verpeilte Königin Marguerite von Valois singt, mögen in der Höhe ein paar Prozent fehlen, aber das wird vielfach wettgemacht durch Ciofis technische Brillanz zumal im Koloraturfeuerwerk des zweiten Aktes. Und durch höchste Gestaltungskunst voller Leidenschaft und Witz. Marc Barrard überzeugt mit seinem differenzierten Porträt des stillen katholischen Helden Nevers ebenso wie Derek Welton als apostatenfressender Finsterling St Bris, der am Ende die eigene Tochter killt. Rigoletto in der Gegenreformation.

Der Chor der Deutschen Oper geht erfreulich exakt und abgestuft durch die zahllosen Massenszenen der Hugenotten.

David Aldens Inszenierung ist angenehm zweckmäßig, ohne das Werk gegen den Strich zu bürsten oder unerwartete Einsichten aufzureißen. Was vielleicht auch nicht nötig ist bei einem so augenscheinlich aktuellen Werk, in dem das Aufeinandertreffen von religiösem Fanatismus und depperter Spaßkultur in die Katastrophe führt. Nur das Sitzballett auf Kirchenbänken im dritten Akt ist ein Reinfall, die brodelnde Szene ist so kaum zu verstehen.

1000 Aufführungen der Hugenotten soll es zu Meyerbeers Zeiten allein in Paris gegeben haben. An der Deutschen Oper sind im November noch zwei zu erleben (26. und 29.11.), zwei weitere 2017, dann mit Sängerbesetzung aus dem Ensemble, dafür preisgünstiger. Und in der nächsten Saison geht’s weiter mit dem Meyerbeer-Zyklus. Höher hinaus ist kaum möglich.

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12 Gedanken zu „23.11.2016 – Stilbruchreich: Meyerbeers „Hugenotten“ an der Deutschen Oper

  1. Ich warte zukünftige Meyerbeer-Wochen an der DOB ab und sehe mir dann alle Produktionen in zwei Wochen an. Eigentlich schade, dass im 20. Jahrhundert solche Mega-Opern nicht mehr komponiert wurden, Ausnahmen bei Prokofjew vielleicht.

      • warum sollte der Zyklus nicht stattinden können? Aber nicht, wie schlatz schreibt in 2 Wochen. Vielleicht am Ende der Saison, wenn auch die Premiere vom Propheten vorbei ist, oder zu Ostern.. Stockhausen und DO, das wohl eher nicht, da ist das Haus zu groß zu, auf die Kasse muss auch geachtet werden. Ja Schätze gibt es genug zu heben. Habe gerade einem Urralt Opernfan, der noch sie Städtische Oper seit Ende der 40 er Jahre belebt hat, eine DVD geborgt, von einem Franco Leoni, La Oracolo. der ist total aus dem Häuschen und will an die Oper schreiben, das er die hören und sehen möchte. Ist aber auch wirklich ein Knaller und dauert auch nur runde ne Stunde

        • Ich denke, er meinte, das Festival müsste 2 Wochen lang sein, nicht dass es in 2 Wochen stattfindet. Stelle es mir enorm aufwändig vor, aber wenn es stattfindet, bin ich gern dabei.
          Stockhausen war ein Scherz, aber neue Musik muss ein Opernhaus schon machen, auch mal auf der großen Bühne. Bin gespannt auf Scartazzini im Februar. GF Haas im Frühjahr war leider nur so lala. Das Mädchen mit den Schwefelhölzern hat mir sehr gefallen, auch wenn ich Lachenmann über die Inszenierung habe motzen hören.

    • Geht mir bei Herrn Selge auch immer so, und in diesem Fall besonders, weil ich die Aufführung schon 2 x erleben durfte und ich ihm Wort für Wort zustimme. Konnte nur nicht ganz die Einschätzung über Fr. Ciofi teilen, in meinen beiden Vorstellungen, war sie überragend. Die kleine Kritik am 3. Bild teile ich auch, da gingen wohl mit dem ausserordentlich sympatischen Herrn Alden die Gäule durch

    • Danke, Andrea Schopf-Balogh!
      Und lieber Herr Mohrmann: Frau Ciofi war überragend, unbedingt! Die Stimme hat nur physisch etwas ihren Zenit überschritten, würde ich sagen. Aber nur einen Tick, musikalisch immer noch fantastisch und hoffentlich noch lange auf diesem Niveau zu hören.

      • Damit werden Sie recht haben. Ich hatte ja schon einen Schreck in der ersten der beiden Traviatas bekommen, als mir fast die Ohren wehtaten. Sicherlich ist es auch eine Folge der schon längeren Karriere. Zum Glück gehört sie aber auch wohl zu den Künstlerinnen, die einteilen können. Was man so von Kaufmann liest, klingt das ja nicht gerade ermutigend. Hoffentlich nicht Villazons Schicksal

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