22.2.2017 – Sowas von unvergleichlich: Mandelring Quartett spielt Schubert und Berg

Reizvoll, an zwei Abenden nacheinander zwei hochkarätige Streichquartette im Kammermusiksaal hören zu dürfen: erst Artemis, dann Mandelring. Das Artemis Quartett scheint von einzigartigem Wohlklang – manchmal fast zu schön, um wahr zu sein. Das Mandelring Quartett wirkt dagegen spontaner, risikofreudiger – fast zu wahr, um schön zu sein. Was nicht heißt, dass die Mandelrings nicht einen schönen Ton beherrschten. Aber wie vorbehaltlos die vier sich in Ausdrucksextreme werfen, wie rau etwa der erste Geiger Sebastian Schmidt den Bogen aus dem Ton reißt, wenn es um alles geht, würde man bei Artemis wohl kaum je erleben.

Aber was soll die elende Vergleicherei! Da könnte man ja gleich Alban Berg und Franz Schubert vergleichen! Jedoch … warum eigentlich nicht? Beim Mandelring Quartett steht SchuBerg auf dem Programm.

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Alban Schubert, Wien

Als der Bogen zu Beginn von Franz Schuberts Quartettsatz c-Moll D 703  (1820) ganz leise ins große Zittern hineinhüpft, da fragt der Konzertgänger sich eine Sekunde lang: Moment, ist das nicht von Berg?

Aber natürlich ist das sowas von Schubert, was dann folgt, dieses Manweißnichtwas von Lied und Tremolo-Schauder. Immer wieder derselbe aufzuckende Blitz: der erste Geiger setzt schwer gekrümmt ein und fährt ruckartig auf, wie von einem Stromschlag durchzuckt.

Sowas von unlyrisch!

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Franz Berg, Wien

Moment, ist das nicht von Schubert?, fragt der Konzertgänger sich immer wieder in Alban Bergs Lyrischer Suite (1925/26). Die ist sowas von tönend bewegter Form, aber hat sowas von Wiener und sonstigem Schmelz. Und Zerrissenheit. Und Schmelz plus Zerrissenheit: das ist bekanntlich Schubert. Wie das von unglücklicher Liebe singt und klingt, Dodekaphonie hin oder her. Wie es ländlert im Andante amoroso. Das unendlich gedämpfte Flirren im Allegro misterioso, dabei wurde die Dämpfung doch bekanntlich für Schubert erfunden. Wie der Weg der Musik in Geräusch und Trostlosigkeit führt. Presto delirando, heißt der fünfte Satz, und der sechste und letzte: Largo desolato. Klangforderungen, die das Mandelring Quartett unbedingt erfüllt.

Sowas von unvergleichlich dann Franz Schuberts Streichquartett Nr. 15 G-Dur D 887 (1826). Da steht die totale seelische Desolation nicht am Schluss, sondern gleich am Beginn, im so simplen wie erschütternden Umschlag von G-Dur in g-Moll. Der Ton der Mandelrings zeichnet sich durch derartige Spannung und zugleich Zerbrechlichkeit aus, dass man fürchtet, da werde schon in den ersten Takten alles bersten: die Musik, die Seele des Hörers, die ganze Welt. Stattdessen singen und schreien sie sich aus, in Schrecken und unfassbar fahler Schönheit: Musik, Seele, Welt.

Wie dann im Andante un poco mosso der näselnde Weltschmerz des Cellos (Bernhard Schmidt) und die flötentönerne Melancholie der ersten Geige an schrillen Ausbrüchen zerschellen. Wie das Dauerschauern des Scherzo scheinbar so fröhlich beginnt. Wie g-Moll und G-Dur sich im Finale zu Tode hetzen. Oder doch ins ewige Leben?

Der Schubert des Mandelring Quartetts ist so beredt, dass er sprachlos macht. Sowas von schmerzlich, sowas von schön.

Noch etwas zum Artemis Quartett: Bei dessen Konzert war der Kammermusiksaal ausverkauft, bis zu den abgelegensten Plätzen, auf denen man wirklich unbefriedigend hört. Beim Mandelring Quartett, wo die Karten nur die Hälfte kosten, gab es auch auf den besten Plätzen erhebliche Lücken. Das ist schon irrational.

Das nächste Konzert des Mandelring Quartetts im Kammermusiksaal findet am 18. Mai statt (Schubert, Strawinsky). Bereits am 30.4. und 1.5. gibt an zwei Tagen alle (!) Streichquar-, -quin- und -sextette von Brahms im Radialsystem.

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