21.2.2017 – Theseisch: Artemis Quartett & Anna Vinnitskaya spielen Beethoven, Bartók, Schumann

In einer niveauvolleren Welt gäbe es einen alljährlichen Feiertag für die Erfindung des Klavierquintetts durch Robert Schumann. Aber in unregelmäßigen Abständen wird dieser Feiertag begangen: etwa im Konzert des Artemis Quartetts mit seinem Gast Anna Vinnitskaya im Kammermusiksaal.

Die Pianistin Vinnitskaya ist für die ursprünglich angekündigte Maria João Pires eingesprungen: Obwohl auf den ersten Hörblick ein ganz anderes Anschlagstemperament, gibt es Kammermusik vom Feinsten bei Robert Schumanns Klavierquintett Es-Dur op. 44 (1842). Es heißt ja, die Streicher würden bei Klavierquar- und -quintetten oft von zu guten Pianisten untergebuttert. Aber Vinnitskaya ist von so tiefenentspannter Virtuosität, dass sich, wo nötig (etwa bei den Anfangsakkorden), orchestraler Vollsound ergibt, ohne dass sie dezibelmäßig forcieren müsste.

 

Wenn nach diesem Einstieg das Seitenthema vom Klavier zum Cello (Eckart Runge) geistert und von da zur Bratsche (Gregor Sigl), die es umkehrt – ja, da meint man fast zu sehen, wie dieses unvergleichlich schöne, romantisch sehnsüchtige Thema sich von Herzen freut. Vielleicht ließe sich hier und da die Sehnsucht einen Tick übers Erlaubte hinaus dehnen? Wird ein tagelanger Ohrwurm. Im trauermarschlichen Andante con moto übertrifft die schmerzliche Fahlheit der zweiten Geige (Anthea Kreston) gar den süßen Schmerz der ersten (Vineta Sareka).

In Schumanns Klavierquintett kann einen manchmal der abrupt sichere Boden irritieren, den man nach den überirdischen Sätzen 1 und 2 abrupt unter die Füße bekommt. Hier nichts davon, im dritten und vierten Satz hebt die Musik einfach ab. Während Vinnitskaya im Scherzo molto vivace (später als Zugabe wiederholt) irre Oktaven niederprasseln lässt, schunkelt sie lustig mit dem Oberkörper hin und her, als spielte sie gerade Es tanzt ein Bi-Ba-Butzemann. Doch der Höhepunkt ist der unendlich sanfte Übergang ins Trio. Dass jemand schon nach dem dritten Satz begeistert losklatscht, ist keine Fehlleistung, sondern ganz stringent. Die finale Fuge wirkt wie ein hochkarätiger Bonus.

Dem Artemis Quartett wird ja eine enorme Kontinuität der schönen, detailverliebten, gesanglichen Klangkultur nachgesagt, die angesichts der personellen Wechsel und menschlichen Erschütterungen der letzten zehn Jahre verblüfft. Ginge wider Erwarten je das letzte verbliebene Gründungsmitglied von 1989, der Cellist Eckart Runge, von Bord, könnte man das Philosophem vom Schiff des Theseus in Quartett der Artemis umtaufen.

theseus

In Ludwig van Beethovens Streichquartett D-Dur op. 18, 3 (1800) verläuft die Richtung andersrum als bei Schumann: vom sicheren Boden der ersten beiden Sätze ins schwankende Terrain des dritten und vierten. Die langsamen Abschnitte im Kopfsatz spielen die Artemiden allerdings so breit aus, dass man schon einen Anflug des Stillstands spürt, der einen in gewissen Brahms-Momenten so erschüttern kann. Da heißt es gern: Der Zusammenhang drohe zu zerfallen. Aber ein Beethoven-Zusammenhang zerfällt nicht so leicht, und dem Artemis Quartett schon gar nicht. Der dritte Satz würde, schroffer angefasst, stärker nach jenem Scherzo klingen, das da einst kommen wird bei Beethoven. Die größte Bereitschaft zum schroffen Ton zeigt überraschend die Geigerin Anthea Kreston, die so unschuldig aus ihrem Glitzerpulli schaut.

Indiskutabel ist allerdings, dass die größte Beethoven-Störung nicht vom Streufeuer der Hustengeschwader ausgeht, sondern von einem Saaldiener, der lange in den Kopfsatz hineinwispert und Besucher ihre unbotmäßig verrückten Stühle geraderücken lässt. (Denn der Saal ist sowas von ausverkauft, dass Extrastühle reingestellt wurden.)

Völlig eins mit sich, gerade in seiner Modernität und Zerrissenheit, scheint Béla Bartóks 3. Streichquartett (1927), das zwischen Beethoven und Schumann erklingt: vierteilige Einsätzigkeit oder einsätzige Vierteiligkeit, wie man will. Hat auf jeden Fall den Vorteil, dass niemand die Pausen zwischen den Sätzen missbrauchen kann, um sich auszuhusten.

Ein Glück. Noch nie gehört. Wunderbare, krass kontrapunktierte Avantgarde-Folklore! Anflüge von Stampftanz all’allegro barbaro verfliegen in feinsten Glissandi oder gläsernen Flageolettpiezen. Das ist so modern und so unmittelbar packend zugleich, zudem nur ein Viertelstündchen lang, dass man es am liebsten sofort nochmal hören würde.

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