19./20.11.2016 – Fragezeichnend: Roger Norrington und DSO spielen Vaughan Williams, Mozart, Beethoven

Zweimal dreimal acht: Das Deutsche Symphonie-Orchester spielt am Samstag und Sonntag die achten Symphonien von Mozart, Vaughan Williams und Beethoven. Und weil Roger Norrington dirigiert, ist der Konzertgänger an beiden Abenden in der Philharmonie, einmal in Block A, wo es mehr knallt, einmal in Block D, wo man ausgewogener hört.

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Die Verwandtschaft zwischen den Werken besteht weniger in Zahlenwitz oder Nummernmystik als darin, dass alle drei aufs erste Hören irritierend „leicht“ scheinen: Beethovens F-Dur-Symphonie sowieso. Vaughan Williams‘ späte d-Moll-Symphonie spielt in celestischeren Gefilden als das üppige Frühwerk oder die markerschütternden mittleren Symphonien vier bis sechs.

Und die 8. Symphonie D-Dur KV 48 wirkt schon deshalb „leicht“, weil Wolfgang Amadeus Mozart sie mit zwölf Jahren komponiert hat (1768). Hier ohne Cembalo, die Oboen stehen, der nunmehr 82jährige Roger Norrington sitzt und lässt von seinem Drehstuhl aus das Publikum lachen, bevor er es hören lässt: Die Ultraknappexposition des Kopfsatzes eröffnet mit vier absteigenden punktierten Halben, erste und vierte laut, zweite und dritte leise. Sehr. Null klassizistische Glättung. Und von keinem Vibrato versaut, was noch mehr dem folgenden warmen Streicher-Andante zugute question_mark3-svgkommt. Das Menuett ist eine schöne Mischung aus zopfiger Gravität und mozartscher Schwerelosigkeit. Das Finale dirigiert Roger Norrington wie aus der Pistole geschossen, erste Geigen links piff, zweite Violinen rechts paff, ehe die Musik mit einem überraschenden Fragezeichen leise endet.

question_mark3_cEbenso, mit einem Fragezeichen, Verwunderung, beginnt Ralph Vaughan Williams‘ 8. Symphonie d-Moll (1953-55). Und, obwohl die Besetzung sich gefühlt verachtfacht hat und die Klangfarben sich verachttausendfachen werden, wiederum mit vier Tönen, allerdings aufwärtsgerichtet (d g e a), was indeed wie eine Frage klingt. Vaughan Williams hat diese Fantasia auch als „seven variations in search of a theme“ bezeichnet. Weil wir im 20. Jahrhundert sind, stellen nicht die Streicher, sondern die Trompeten die erste Frage. Celesta, Glockenspiel und Harfen zeichnen ein silbrig schimmerndes Fragezeichen. Enorm, welche Welt sich von diesem fast läppisch scheinenden Beginn aus auftut, bis zu einem majestätischen Höhepunkt, ehe der Satz in erneuter Verwunderung endet. Unanswered question.

Im zweiten Satz blasen ganz allein die Bläser einem Scherzo den Marsch, er verpufft gleichfalls in Staunen. Nach ihrer Enthaltung tönt die folgende Streicher-Cavatina um so herbstlicher: unsentimentale Wehmut, vibratolose Wärme, nur dem Konzertmeister Wei Lu darf dann im Solo der Finger seelenvoll zittern. Und der himmelwärts steigende Abgesang des Cellisten Mischa Meyer dringt tief ins Herz. (Goldberg assoziiert im Kulturradio zur Cavatina die Welt elisabethanischer Gamben-Consorts.) Das Finale, nun wieder das ganze Orchester inklusive röhrender Glocken und dröhnender Gongs, nennt sich Toccata und hat nichts Maschinelles, sondern mehr von einer mächtig tönenden Naturgewalt, in der es immer wieder himmlisch funkelt.

Die Symphonie endet laut, bei Vaughan Williams eine Seltenheit, wie der treue Hörer nun weiß, der dem verdienstvollen Vaughan-Williams-Zyklus des DSO gefolgt ist. (Im Mai 2017 gibt es noch einen Nachschlag, aber auf die die als 7. Symphonie verzeichnete Filmmusik Sinfonia antarctica müssen wir anscheinend verzichten.) Fabelhaft, wie das Deutsche Symphonie-Orchester sich dieses wertvolle Repertoire erarbeitet hat.

Noch fabelhafter, in welcher Form Sir Roger Arthur Carver Norrington regelmäßig Berlin beehrt. Und er hat ja zu guter Letzt noch Beethoven dabei, die umstandslose 8. Symphonie F-Dur op. 93, hier ohne jede Spur von altphilharmonischem Wohlklang. Bei Norrington sind nicht nur, wie in großen Konzertsälen üblich, die Streicher verdoppelt, sondern auch die Holzbläser, je vier statt zwei. Nicht nur das unübertrefflich tickende Allegretto scherzando profitiert enorm. Überall tönen die Proportionen plötzlich ganz anders. Historisch informiert heißt hier nicht leise oder schwachbrüstig, wohl aber kontrastreichst, mit penibel klaren Linien und Knalleffekten: Musik wie loderndes Feuer. Der Kopfsatz entzündet sich wie durch einen Urknall. Dann gar flammenspeiende Querflöten in der Durchführung. Roger 132px-question_opening-closing-svgNorrington stampft im Sitzen mit dem Fuß und zeigt mehrmals Beethoven einen Vogel: am Samstag erst nach dem abstrusen Schlussakkordgewitter des Finales, am Sonntag bereits nach dem Fragezeichen, mit dem der Kopfsatz endet. Nicht zuletzt dieses Innehalten, Staunen, Wundern verbindet die drei Achten dieser zwei Konzerte.

Kritik zum Samstagskonzert im Tagesspiegel

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4 Gedanken zu „19./20.11.2016 – Fragezeichnend: Roger Norrington und DSO spielen Vaughan Williams, Mozart, Beethoven

    • Das dürfte aber auch die einzige Gemeinsamkeit zwischen den beiden sein… Vierfaches Holz hab ich z.B. auch schon bei Norrington mit Schumann C-Dur in der Komischen Oper (!) gehört, diese merkwürdige Symphonie meinte ich da zum ersten Mal zu verstehen. Die Erwägung ist natürlich: wenn Streicher gegenüber Urzeit verdoppelt, dann auch Bläser.

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