Relaxte Stimmung im und um den Kammermusiksaal: Ein Gast pfeift auf der Toilette die Gavotte aus der E-Dur-Partita, die der Russe draußen immer auf der Balalaika spielt. Eine Dame, die ihre Lesebrille vergessen zu haben scheint, liest ihrer Begleiterin das gesamte Programmheft vor, wundert sich über das kontrastierende Seifenthema und fragt sich, was eigentlich ein Kontrapunkt ist (hier nachblättern). Und auf dem Podium gibt es, nach zweimal neun Symphonien im Großen Saal, Beethovens Septett Es-Dur op. 20.
Das ist trotz Tendenz ins Symphonische (etwa durch die Besetzung mit sieben obligaten Stimmen statt heimeliger Instrumentenpärchen) maximal entspannte Musik. Auch wenn Wolfgang Rihm sagt: „Entspannung ist immer unklassisch.“ Im Septett gibt es sowohl ein Menuett als auch ein Scherzo. Das wunderbare Adagio cantabile an zweiter und der Variationensatz an vierter Stelle, der zugegeben in größere Dimensionen strebt, sind die Herzstücke. Der größte Reiz ist aber, dass man hier die vielgerühmten Musiker unseres Weltklassemegaspitzenorchesters ausgiebig als Individuen hören kann, darunter Daishin Kashimoto (Violine) und Wenzel Fuchs (Klarinette). Stefan Dohr zeigt im Trio des Menuetts, wie beweglich ein Horn sein kann.
Im Oktett B-Dur (1897) des Brahms-Freundes Ferdinand Heinrich Thieriot, das vor Beethoven gespielt wird, ist das weibsvolkfreie Philharmonische Oktett komplett versammelt, inklusive Romano Tommasini als zweitem Geiger. Ein aufsteigendes, sympathisch schunkeliges Thema im 3/4-Takt zieht sich durch den ersten Satz. Gelegentliche dramatische Einbrüche meinen es nicht böse mit dem Hörer, treiben es nie auf die Spitze. Aber keinesfalls kann man sie als Seifenthemen bezeichnen. Im Intermezzo haben die drei Bläser viel Raum zur Entfaltung, auch Mor Biron am Fagott. Im Adagio, das die schönsten Passagen des Oktetts enthält, glänzt Christoph Igelbrink am Cello, das zur Pizzicatobegleitung herzergreifend singt. Am Schluss gibt es ein Tänzchen statt großem dramatischem Finale: freundliche Musik, die man gerne hört. Erstens weil sie angenehm zu hören ist, zweitens weil es immer lohnt zu lernen, was es „sonst so gab“, und drittens, weil einem wieder mal einleuchtet, warum Brahms Brahms war. Aber nichts gegen Thieriot!
Und schon gar nichts gegen die 1967 geborene serbische Komponistin Isidora Žebeljan, deren hochspaßige Needle Soup mit der rätselhaften Spielanweisung Spuntado das Salz in der Suppe dieses Abends ist: ein Auftragswerk des Philharmonischen Oktetts als Uraufführung. Der Titel bezieht sich auf ein Balkanmärchen, in dem sich ein armer, aber listiger Vagabund von einem reichen Geizkragen eine köstliche Suppe zubereiten lässt. Am Anfang erinnert das Stück an Musik von Goran Bregović zu einem Kusturica-Film. Bald treten avantgardistische Spieltechniken hinzu oder auch mal ein grummeliges Binnenquintett für Bratsche (Amihai Grosz), Cello, Kontrabass (Esko Laine), Horn und Fagott. Alles in klar gegliederten, charakteristischen Abschnitten, die für ein perfektes dramatisches Gespür der Komponistin sprechen. Eine Kinderoper von dieser Komponistin wäre eine tolle Sache: Komische Oper, bitte einen Auftrag erteilen.
Ich sehe mit Neid, dass Sie intensiv kammermusikalisch unterwegs sind.
Früher war das auch mein Ding. Aber mittlerweile erlebe ich oft, dass mir die Umstellung von 100 auf 4 Mann bzw. von 120 auf 80 Dezibel, also von Orchester- zu Kammermusiksaal, schwer fällt. Ich sitze dann im Kammermusiksaal und langweile mich bei Beethoven. So gehe ich wenn’s hochkommt zwei, drei Mal pro Jahr in einen Klavierabend, aber das wars auch schon.
Ja genau: freundliche Musik, die man gerne hört
Sehen Sie, mir geht’s umgekehrt… bei zuviel Alpensinfonie fall ich vom Stuhl. Dann brauch ich dringend ein Streichquartett…