15.9.2016 – Veränderlich: John Adams bei den Berliner Philharmonikern

Für das Bekenntnis, dass mir der Klang von Zwölftonmusik überhaupt nicht gefällt, wird heutzutage zum Glück niemand mehr vor den Darmstädter Wohlfahrtsausschuss zitiert. So kann sich der amerikanische Komponist John Adams (der das 2008 in seiner Autobiografie schrieb) ohne Gefahr für Leib und Leben ins Alte Europa begeben, um hier ein Jahr als Artist in Residence der Berliner Philharmoniker zu verbringen. 2012 war er bereits mit dem BBC Symphony Orchestra beim Musikfest zu Gast, um seine Oper Nixon in China konzertant aufzuführen.

Adams eröffnet sein erstes Konzert in der Philharmonie mit der dreiteiligen Harmonielehre (1985), deren Titel sich auf Arnold Schönbergs Buch von 1911 bezieht (hier eine lustige zeitgenössische Lobbuckelei des Schönbergianers Heinrich Jalowetz). Wunderbar, dieses berühmte Stück von Adams einmal live zu hören: nicht weniger als ein Hauptwerk des 20. Jahrhunderts, wenn man Alex Ross‘ Buch The Rest Is Noise folgt, das zwar gar garstig wütet gegen unsere prima europäische Nachkriegs-Avantgarde und in seinem penetranten Überschwang für alle Arten von Westküsten-Minimalismus nervt wie anno dunnemals Jalowetz, aber dennoch sehr lesenswert ist.

the_elephant_celebesÜberwältigend schrullig ist schon Adams‘ Beschreibung der psychedelischen Traumbilder, von denen er sich angeblich zur Komposition inspirieren ließ: einem riesigen Supertanker, der vom Wasser der San Francisco Bay abhob und wie eine Saturnrakete in den Himmel schoss oder dem Anblick der eigenen Tochter auf der Schulter des mittelalterlichen Mystikers Eckhart sitzend, während sie zwischen den Himmelskörpern schweben. (Herr Ober, bitte bringen Sie mir das Gleiche, was Mr Adams hatte!)

Mit einem supertankerhaften e-Moll-Bombardement setzt denn der Klangstrom auch ein. Doch stets ist die Fülle des tonalen Wohllauts präsent, die bereits die sich vor Konzertbeginn einspielenden Harfen verhießen. Dabei wird der Strom nie langweilig, denn die kontinuierlichen rhythmischen Verschiebungen und Schwerpunktverlagerungen innerhalb der Dreiklänge entfalten eine ungeheure Sogwirkung: Ständig verändert sich etwas, und im Gegensatz zu Brahms und Schönberg hört man jederzeit, was, wie und warum.

In diesem Umfeld, wo der Komponist die Emanzipation der Dissonanz zurückgenommen hat wie Adrian Leverkühn Beethovens Neunte, kann dann auch wieder der schaurige Neunton-Cluster aus Mahlers letztem Adagio zu erschütternder Wirkung kommen, wie es sich im Mittelteil der Harmonielehre ereignet – eine irritierende Kopie, inklusive des stehenbleibenden einsamen Tons. Schon zuvor haben die Streicher sich in Mahlersound geübt; die irrflackernde Solotrompete (Tamàs Velenczei) weckt auch Charles-Ives-Assoziationen.

Im dritten Satz dann eine Art himmelsglöckchenklingendes Wiegenlied, das sich erneut zu einem breiten Strom entfaltet: als hörte man den Schlaf selbst. Die immer weiter sich auffächernden und überlagernden Felder ballen sich am Ende zu einer unverfroren effektvollen Steigerungswelle, die heftigste Glücksempfindungen auslöst. (Danke, Herr Ober!)

Die Berliner Philharmoniker, heute alle in schwarzen Hemden, schmeißen sich mit großem Elan in diese Klangwelt, die bestimmt nicht jedem auf dem Podium schmeckt. Der Konzertgänger ist so begeistert wie ein Großteil der Zuhörer – auch wenn seine wichtigste fachliche Beraterin sich nicht davon abbringen lässt, die Harmonielehre wie schon Nixon in China als Gehirnwäsche und Bhagwan-Gebimmel anzuprangern.

(c) The New Art Gallery Walsall; Supplied by The Public Catalogue FoundationViel besser gefällt ihr das zweite Stück des Abends, das Violinkonzert Scheherazade.2 (2014/15), das hingegen beim Konzertgänger einen ambivalenten Eindruck hinterlässt. Das beginnt beim programmatischen Ansatz, der von den bizarren Traumbildern der Harmonielehre weit entfernt ist: ein Update der Rahmenerzählung aus 1001 Nacht unter dem Aspekt der Frauenrechte, speziell in einigen islamischen Ländern. Dagegen ist menschlich und politisch nichts einzuwenden, im Gegenteil, aber es ist doch auch ein paternalistisches Programm, zumal wenn der Komponist betont, wie beautiful seine imaginierte Protagonistin ist (ist die Misshandlung schöner Frauen schlimmer als die Misshandlung nichtschöner Frauen?), und seine musikalische Energie ausgerechnet in eine kitschige Liebesszene mit rauschenden Harfen und Celestaklingeln kulminiert. Feminismus als Männerfantasie.

Das klingt natürlich herrlich, wie vieles, etwa die faszinierende harmonische Ballung zu Beginn des zweiten Satzes. Aber Scheherazade.2 lebt und atmet nicht aus dem Flow wie die Harmonielehre, sondern aus der schon klassischen, fast konventionellen Konfrontation von Solistin und Kollektiv. Der Übermacht des Orchesters, dessen Sound vom Cimbalom vulgo Hackbrett (Aleksandra Dzenisenia) geprägt ist, steht die Geigerin Leila Josefowicz gegenüber, für die und mit der Adams komponiert hat (und die Scheherazade.2 auch auf CD eingespielt hat): heftig rhapsodierend, klagend, schreiend, schrubbend, dass es bisweilen an Schostakowitsch erinnert. Das macht sie ganz großartig, auch wenn ihre dramatischen Posen und wilden Blicke ins Publikum manchmal etwas abgenutzt wirken. Das gilt noch mehr für die gelegentlichen Exotismen und unbestimmte Folklore der Komposition. Sehr bildhaft und theatralisch, aber auch klischeehaft wirkt es, wenn boshafte Xylophon-Eiferei und harsche Streicher-Unisoni der zarten Einzelstimme der Geige gegenübertreten und schließlich ein so knallendes wie schrilles Todesurteil verhängen.

Beeindruckend und mitreißend, wie Josefowicz sich die Seele aus dem Leib geigt. Die eindimensionale Werkkonzeption bleibt jedoch eine Bürde. So zumindest ein erster Höreindruck des Konzertgängers. Schön, dass Adams ein Jahr bleibt und in vier weiteren Programmen Gelegenheit gibt, die Eindrücke zu überprüfen und hörend zu lernen.

Weitere Kritiken dieses Konzerts: Der feinohrige Kollege Schlatz hatte ebenfalls Zweifel am Violinkonzert, Oberlehrer Goldberg vom Kulturradio war hingegen hellauf begeistert.

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4 Gedanken zu „15.9.2016 – Veränderlich: John Adams bei den Berliner Philharmonikern

  1. Interessant, dass Sie das ähnlich gehört haben. Scheherazade Zwo fand ich (stellenweise zumindest) sehr peinlich. Als hätte es die UNICEF für irgend einen Festakt bestellt. Und Josefowicz, Stichwort „schrubbend“, fand ich auch nicht über alle Zweifel erhaben. Aber vielleicht liegt man auch ganz falsch und in 10 Jahren gilt das Werk als Non plus Ultra.

  2. wollten Sie dahin?
    Leider musste Jonas Kaufmann seine Mitwirkung beim I. Abonnementkonzert der Staatskapelle Berlin unter der musikalischen Leitung von Daniel Barenboim am 19. und 20. September in der Philharmonie Berlin aus gesundheitlichen Gründen absagen.

    mal wieder….

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