14.9.2016 – Sorgfältig ekstatisch: Bayerisches Staatsorchester, Kirill Petrenko, Frank Peter Zimmermann spielen Ligeti, Bartók, Strauss

anthony_van_dyck_-_family_portraitSelbst eingefleischte Richard-Strauss-Muffel wie der Konzertgänger können dieser Sinfonia Domestica nicht widerstehen, die das Konzert des Bayerischen Staatsorchesters beim Musikfest Berlin in der Philharmonie beschließt. Die Kluft zwischen dem privaten Sujet und den musikalischen Mitteln des Werkes (womit nicht die Größe des Orchesters gemeint ist, sondern die pompöse Klangsprache) ist und bleibt zwar bizarr, ja lächerlich. Sinfonische Dichtung Ein Eheleben. Der Konzertgänger kann nie umhin, sich bei den instrumentalen Potenzierungen des dritten Themas ein 60 Meter großes Frankensteinbaby „Bubi“ vorzustellen.

Aber das Bayerische Staatsorchester zeichnet sich unter Kirill Petrenko durch eine so hinreißende Klangkultur aus, dass alles egal wird. Petrenko zeigt weite, durchdachte Linien auf und führt seinen Orchesterkörper zu glasklaren Explosionen: Sorgfalt und Ekstase. Dass auch die gewaltigsten Kraftentladungen (selbst der entsetzliche Moment, in dem 2.400 Anwesende der lautstarken Ejakulation des Pater familias zuhören müssen) nie, wirklich nie nur den Hauch der Gefahr bergen, ins Lärmende zu kippen, erlebt man selbst bei Spitzenorchestern selten. Die Klasse aller Orchestergruppen, in diesem Fall allen voran der phänomenalen Holzbläser, braucht man kaum zu erwähnen.

Dennoch würde der Konzertgänger sich wünschen, dass die Damnatio memoriae über das alberne Programm der Sinfonia Domestica verhängt würde. Es würde der Aura der Musik schon helfen, sie umzutaufen in eine Sinfonische Dichtung Der Bayerische Wald oder auch Die Seen Oberbayerns (aber ohne Wanderer oder Schwimmer!).

So vollendet dieser Strauss auch klingen mag, würde der Konzertgänger statt der Sinfonia Domestica lieber viermal Lontano von György Ligeti (1967) hören, mit dem das Konzert beginnt; freilich säße dann wohl nur ein Viertel des Publikums in der auch so nur fast ausverkauften Philharmonie. Petrenko dirigiert dieses sympathisch schlagzeugfreie Werk, einen diatonisch schwebenden LSD-Trip, ohne Stab mit bloßen Händen, so als würde er die vibrierenden mikropolyphonen Klänge in jedem Moment schieben, verschieben, heranziehen. Klanglich wie optisch faszinierend. Die Instrumentalisten gleiten unendlich sanft in jeden Klang hinein, so dass man versteht, warum Petrenko es nicht eilig hat, sein Chefamt bei den Berliner Philharmonikern anzutreten; viele von denen sind im Publikum zu sehen, vielleicht fragen sie mal nach. [Nachtrag: Wie zu erfahren ist, gab es nach dem Konzert ein Bier von den Berliner Philharmonikern für die Münchner; hoffentlich ein anständiges, keins der üblen Berliner Gebräue.]

Schade nur, dass ein Mitarbeiter der neuen Service-Firma der Philharmonie in den sphärischen Flötenbeginn hinein die Tür bumpern lässt; und ein Teil des Publikums Lontano gnadenlos zerhustet.

stefi_geyerIn Béla Bartóks 1. Violinkonzert (1907/8) hat Petrenko im Solisten Frank Peter Zimmermann einen Geistesverwandten, der ihm ähnelt in der Verbindung von sagenhafter Exaktheit und tief romantischer Ausdruckswucht. Petrenko lässt das Orchester zarter als zart in den Klang gleiten, als wär’s Ligeti; dann leitet er akzentfroh und lässt es prachtvoll aufblühen. Zwar irritiert der Terzenrausch in diesem frühen, von der Geigerin Stefi Geyer verschmähten Bartókwerk (den ersten Satz muss sich wahrscheinlich John Cage in der Hölle anhören, der, wie jedermann weiß, nie die Terzen mochte; vgl. Silence, S. 19). Manches wirkt noch unausgereift, seltsam die deutlich spürbare Straussnähe, spätromantische Klangmischkunst. Zimmermann hat stets einen festen Ton, selbst wenn er brüchig ist; wunderbar schmalzig der Schluss des ersten Satzes, schwelgerisch und virtuos der zweite, top präzise die skurrile, fast infantile Coda.

Nach Zimmermanns Zugabe, dem Allegro aus J. S. Bachs 2. Sonate a-Moll BWV 1003, ist sogar ein Bravoruf aus dem Orchester zu hören, nach der Zugabe des Orchesters, einer mitreißend flotten Meistersinger-Ouvertüre, mehr als ein Bravoruf aus dem Publikum.

Sich an einer Rangliste der drei Münchner Orchester zu versuchen, die nun beim Musikfest Berlin gespielt haben, wäre kleinlich und der Konzertgänger der Falscheste, sie zu erstellen. Die präzise Wucht, mit der das Symphonieorchester des BR unter Daniel Harding den monströsen, in gewisser Weise vorgestrigen Avantgardeknaller Tutuguri von Wolfgang Rihm wiederbelebte, ist kaum zu vergleichen mit der beklemmenden Intensität der Münchner Philharmoniker unter Valery Gergiev.

Der bayerische Kultusminister Ludwig Spaenle erklärt nun in der Tourneebroschüre des Bayerischen Staatsorchesters: Die Septemberreise des BSO, das die Sinfonia Domestica zuvor in Mailand, Luzern und Luxemburg aufgeführt hat (und Tschaikowskys Fünfte, in der es anders als in der Domestica immerhin um etwas geht, in Dortmund, Bonn, Paris), möge in erster Linie Einladung für das Publikum sein, bald den Weg nach Bayern und nach München zu finden. Nun, warum nicht. Keine Sottisen gegen die zweitwichtigste Musikstadt Deutschlands. Gern und neidlos erkennt der Berliner an, dass München drei großartige Orchester hat.

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5 Gedanken zu „14.9.2016 – Sorgfältig ekstatisch: Bayerisches Staatsorchester, Kirill Petrenko, Frank Peter Zimmermann spielen Ligeti, Bartók, Strauss

  1. ich bin nur nen halber Straussmuffel, gibt einiges was ich mag, aber dieses Ding absolut nicht, so wie, Ariadne, Capriccio, Arabellla, Rosenkavalier in Teilen. Bei den Konzerstücken, bin ich auch gespalten, von jedem ein bisschen

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