Erstens: Vive la France!
Zweitens: Darf man den Abend nach einer Nacht des Schreckens im Streichquartett-Elysium verbringen? Aber man hört ja auch himmlische Kammermusik und göttliche Symphonik, während syrische Familien von Fassbomben ausgelöscht werden, Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken und Bomben in Beirut explodieren. Der Name Mendelssohn steht für alles, was die Attentäter von Paris zerstören wollen: Lebensfreude, Wissbegier, Sanftmut, Liebe, Schönheit, Menschlichkeit. So ist es kein hilfloser Akt der Anteilnahme, sondern ganz passend, wenn das Mandelring Quartett das letzte Stück des Abends, von Felix in Trauer um seine gestorbene Schwester Fanny komponiert, den Opfern in Paris widmet.
Es ist der Ausklang des Mendelssohn pur-Wochenendes, das Freitagabend mit den beiden Streichquintetten begann. Als eigentliche Herausforderung für Hörer wie Musiker gibt es am Samstagabend alle sieben Streichquartette von Felix Mendelssohn Bartholdy – ein Streichquartettabend in Lohengrin-Länge ist sogar in Berlin etwas Besonderes. Im Radialsystem V ist man regelmäßig schon bei Konzertbeginn geschlaucht, das lange Anstehen und Hineindrängeln hat easyjet-Flair; der Ort bliebe auch cool, wenn man kulturspießig die Plätze nummerieren würde. (Man muss ja nicht gleich so weit gehen und die Sitze polstern; der Nachbar des Konzertgängers, ein älterer Herr, hat sich ein Sitzkissen mitgebracht, daran erkennt man den Profi.)
Im ersten Teil des Konzerts gibt es die drei frühen Streichquartette Es-Dur ohne Opus, a-Moll op. 13 und Es-Dur op. 12 (1823, 27, 29). Logischerweise wiederholen sich die kompositorischen Mittel und Strukturen, aber man hört Mendelssohn ja nicht, weil er die Formen neu erfunden hätte. Im Gegenteil, in diesen im Alter zwischen 14 und 20 komponierten Werken spürt man den Segen der festen Form, in die ein hochbegabter Geist sich ergießen kann, statt erst einmal jahrelang um Form zu ringen. Faszinierend ist der oft barocke Sound dieser Stücke mit ihren vielen Fugati. Die eingängigen Mittelsätze, liedhaft und funkensprühend, erleichtern natürlich den Start in den Marathon. Der langsame Satz des a-Moll-Quartetts ist erschütternd intensiv für einen doch erst 18jährigen Komponisten. Das ebenso großartige Vogler Quartett hat dieses Stück mit seinem wehmütigen langsamen Rahmen vor einer Woche im Konzerthaus ergreifend gespielt; das Mandelring Quartett geht die Mittelsätze grundsätzlich schneller an, ohne romantische Breite, aber auch frei von klassizistischer Glätte, mit traumhaft singendem Ton zumal der ersten Geige (Sebastian Schmidt). Aber im Grunde ist es ungerecht, einen einzelnen hervorzuheben. Obwohl Andreas Willwohl an der Bratsche (als Leber des Quartetts, wie er sagt) erst im Sommer zu den drei Geschwistern Schmidt dazugestoßen ist, hat das Quartett eine homogene Spielkultur, als wäre es schon ewig in dieser Besetzung unterwegs.
In den brillanten drei Streichquartetten op. 44 D-Dur, e-Moll und Es-Dur könnte die perfekte Sonatenhauptsatzform der Rahmensätze den Hörer in Sicherheit bis Schlaf wiegen, aber das Mandelring Quartett musiziert sie (mit allen Wiederholungen) so feurig, dass daran nicht zu denken ist. Sollte sich an den Hörer der Gedanke an eine Bulette o.ä. heranschleichen, so verscheuchen ihn die himmlischen Arabesken der ersten Geige in Menuett und Andante des D-Dur-Quartetts oder die Coda des e-Moll-Quartetts, in der die Fetzen fliegen – aber sowas von konzis. Machen die Mandelrings gar nicht schlapp? Jedenfalls spielen sie länger präzise als das Ohr des Konzergängers präzise hört. Mag auch dieser und jener Hörer auf dem harten Stuhl herumrutschen, so verrutscht den Musikern kein Strich.
Und der Großteil der Hörer bleibt bis zum Schluss, gebannt bis berauscht. Das Streichquartett f-Moll op. 80 (1847), ein kammermusikalisches Requiem für Fanny, öffnet jeden Geist, der zwischendurch dichtgemacht hat: voll Zittern und Zagen und erschütternder Schreie, die fast die Form sprengen – aber nur fast, denn was dem jungen Komponisten den schöpferischen Absprung ermöglicht, gibt angesichts des Todes Halt: Form. Vom Mandelring Quartett bis kurz vor Mitternacht in nicht nachlassender Präzision zelebriert.
Nächstes Jahr spielen sie alles von Brahms.
Zum Konzert. Zum Mandelring Quartett. Zur Mendelssohn-CD des MQ.
genauso war es, nur das Publikum war noch schlimmer, kam mir teilweise vor. wie in einer Lungenheilstätte und in seiner großen Arie noch nen Handy
http://www.oper-aktuell.info/kritiken/details/artikel/berlin-deutsche-oper-tosca-wa-21112015.html
au au, diese Frauen, gut das ich mit denen nie was am Hut hatte, wir Männer sind da ganz anders 🙂 Aber an Vogt? Als Sänger schon, aber als Mann???
Ich denke, das Gesamtkunstwerk Vogt ist faszinierend, die einzigartige Mischung aus Heintje und Heldentenor… das ist mehr als nur eine Stimme.
Aber wir schweifen ab… 😉
Hab Signor Fanale eben meiner Frau gezeigt, der gefällt ihr natürlich, mit Bizeps und Timbre… aber ich habe sie ohnehin schon vor langer Zeit an Klaus Florian Vogt verloren. Sowas muss man als Mann einfach akzeptieren.
mit der Boheme haben Sie recht, aber zu dem dürfen Sie Ihre Gattin nicht allein schicken :-)https://www.youtube.com/watch?v=-HCV61YVAqU&list=PL1IO5BlBa3e4Bh0rHecXgAPYRPoHou5-t
Runnicles, dirigierte alles, nur nicht Puccini, lieblos runtergeleiert, genauso, wie Fr. Harteros, die ich sonst über alles schätze, war so eine richtige abgenuddelte Repertoireaufführung
Danke. Meine Frau war im Frühjahr (ohne mich) in einer Repertoire-Aufführung von La Bohème, das muss auch ziemlich runtergenudelt gewesen sein. Nun gut, man muss immer nach Perlen fischen. Wünsche eine nudellos-leidenschaftliche Tosca.
Hatte heute im TSP die Anzeige gelesen, war mir nicht ganz klar, ob und hab mich nicht getraut. Aufrichtige Teilnahme. Fr. Radvanovsky ist „schon“ 46, und wirklich Klasse auch der de Colla war sehr gut. Runnicles und Puccini passte auch, obwohl ich mit ihm und Harteros mal eine merkwürdige Tosca erlebt hatte
Danke sehr.
Radvanovsky werde ich dann bestimmt mal hören. Was war an der Tosca merkwürdig?
Marathon ja, aber völlig schmerzfrei. Kein Saitenstechen.
Sondra Radvanovsky habe ich noch nie gehört, merke ich mir mal den Namen. Bei der Manon war ich vor Jahren mit meiner mittlerweile verstorbenen Mutter, danach haben wir im „Good Friends“ Alice Schwarzer getroffen – an sowas erinnert man sich.
Die Dritte habe ich mir mit Fragezeichen notiert.
Au, das war ja Marathon, Gratulation. Ich war gestern „nur“ in der Manon, die überwältigend war, vor allem wegen Fr. Radvanovsky. Hab mir gleich noch eine Karte für Tosca am Samstag geholt, obwohl ich die eigentlich aus meinem Repertoire gestrichen hatte. Gehen Sie eigentlich auch in die 3. Mahler unter Runnicles?