12. Juni 2015 – Glühend: Bartók, Schulhoff, Korngold und Enescu bei Spectrum Concerts

Es sollten mehr Oktette gespielt werden, findet der Konzertgänger. Oder auch Septette, Sextette, Nonette. Wenn er große Symphonien hören will, hat er in Berlin jeden Tag die Qual der Wahl; wenn es um anspruchsvolle Kammermusik in gemischten Besetzungen geht, sieht das schon anders aus. Geradezu waghalsig ist ein Programm ohne prominentes Zugpferd wie Beethoven-Septett oder Schubert-Oktett: Beim Spectrum Concert sind 80 Minuten Sextett- und Oktett-Musik eines 17- und eines 19jährigen Komponisten aus der Zeit kurz nach 1900 angekündigt – das klingt nach einer Geduldsprobe. Trotzdem geht der Konzertgänger hin; die Karten für das Konzert zum Richtfest des Stadtschlosses hat er der Kindergärtnerin seiner Tochter geschenkt.

Und siehe da, es wird keine Strapaze; ein langer Abend zwar, jedoch glückliche Überstunden.

Denn erstmal gibt es zwei markante Werke in kleinerer Besetzung: Béla Bartóks Kontraste für Klarinette, Violine und Klavier von 1938 entstanden im Auftrag von Benny Goodman, aber Jazz und Swing muss man darin mit der Lupe suchen. Auch von ungarischer oder südosteuropäischer Bauernfolklore kann nur in einem äußerst abstrakten Sinn die Rede sein. Das mittlere Stück mit dem Titel Pihenö (Ruhe) ist eine Art Nachtmusik, in der aus fast schematischem Aufbau (konsequente Gegenbewegung von Klarinette und Geige) mysteriöse Sphärenklänge entstehen. Die schnellen Rahmensätze sind sehr künstliche Volkstänze, der Verbunkos mit einem Klarinettensolo, der Sebes mit virtuosem Schrammelsolo für die Geige, die zunächst sogar auf einem „verstimmten“ Zweitinstrument spielen muss. Das Klavier steuert einige tolle Glissandi bei (mit denen der Sohn des Konzertgängers sich gerade im Klavierunterricht plagt), bis eine feurige Coda mit famosem Wetthupen das Stück krönt.

Auch die 5 Études de Jazz für Klavier des im KZ Wülzburg zu Tode gekommenen Erwin Schulhoff von 1926 wird man kaum als Jazzstücke bezeichnen können, als Etüden durchaus: ein atonaler Charleston, ein Blues wie von Eric Satie nach einer Memphis-Reise, ein Chanson, der doch nach etwas klimprigem Bar-Piano klingt, ein steifer Maschinen-Tango, schließlich eine beeindruckende Toccata sur le Shimmy ‚Kitten on the Keys‘ – vor Energie platzende Klaviermusik eines aus der Musikgeschichte Eliminierten, für dessen Wiederentdeckung sich Spectrum Concerts seit langem einsetzen, im nächsten Jahr mit einem reinen Schulhoff-Abend (3. Januar 2016).

Nach diesen beiden kantigen Werken wirkt das Streichsextett D-Dur op. 10, das Erich Wolfgang Korngold 1914 im Alter von 17 Jahren zu komponieren begann, geradezu plüschig. Auch in seinen dramatischen Phasen badet es in höchstem Wohlklang, es gibt tremolierende Verzückungen, schwere Leidensseufzer im zweiten Satz entschweben immer wieder in verklärte Regionen. Sehr hübsch der dritte Satz, ein zerpflücktes Tänzchen voll schöner Ideen, die aber doch mehr aneinandergeklebt als ausgeführt sind; wie das ganze Werk recht kleinteilig wirkt.

Featured imageDagegen hatte der Rumäne George Enescu schon als 19jähriger das Geheimnis des großen Bogens raus. Sein Streichoktett C-Dur op. 7 wirkt auch additiv, aber in meisterlichen Übergängen fließt doch eins ins andere, so dass der Hörer sich vom ersten Takt an begeistert mittreiben lässt. Der erste Satz präsentiert auf einem durchgehenden Bass-Grundschlag gefühlte 25 Themen, so dass die wohl irgendwie heraus-analysierbare Sonatenform sich von vornherein erledigt. Das erste Thema ist allerdings ein Ohrwurm, der an allen Schnittstellen wiederkehrt. Von der brahms’schen Unisono-Wucht des Beginns aus durchwandert die Musik die verschiedensten Klang- und Gefühlslandschaften. Der zweite Satz Très fougeux ist ein wahres Feuerwerk, im Lentement singen Violinen und Bratschen, schließlich das Cello im Wechsel. Das Finale ist ein überraschend komplex gebauter Walzer mit nie erlahmendem Stimmengeflecht. Man wartet die ganze Zeit darauf, dass das Stück mal einen Hänger hat; aber der Sog hält eine Dreiviertelstunde lang an. Geniestreich ist ein zu kleines Wort für dieses Feuerwerk, ein unbekanntes Meisterwerk aus dem Jahr 1900.

Die Aufzeichnung dieses Konzerts wird am Sonntag, 14.6. um 20:03 Uhr auf Deutschlandradio Kultur gesendet.

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