12.8.2016 – Jugendstilrotbullig: Mahlers Dritte in Toblach

gustav-mahler-grandhotel-toblach-dobbiacoJugendstil statt Décadence: Im aus kakanischer Vorzeit auf uns gekommenen Grand Hotel Toblach, durch das der Geist Gustav Mahlers spukt, befindet sich heute eine Jugendherberge. Ebenso erfrischend ist es, wenn ein vorzügliches Ensemble junger Musiker, nämlich (Achtung:) Orchester und Chor der Musikakademie der Studienstiftung des Deutschen Volkes im Konzertsaal des Grand Hotels einen Brocken wie Mahlers Sinfonie Nr. 3 wuppt. Angesichts dieses juvenilen Flairs hat der Konzertgänger seine sechsjährige, mit der Bernstein-Aufnahme wohlpräparierte Tochter mitgebracht, deren lebhafter Fantasie Mahlers blumige Klangsprache durchaus entgegenkommt.

Seine Größe empfiehlt den Gustav-Mahler-Saal zwar eher für kleinere Besetzungen, aber er hält der Wucht dieser gewaltigen musikalischen Kosmologie durchaus stand. Sicher ein Verdienst des Dirigenten Martin Wettges, Musikdirektor der Oper von Mauritius (!) und Chordirektor mit Dirigierverpflichtung am Südthüringischen Landestheater Meiningen, der seinen Laden ohne großes Getue souverän zusammenhält und auch in den weltendonnerndsten Passagen, vor allem im Finale, stets vermeidet, dass das Dach vom Haus fliegt und dem Hörer das Trommelfell platzt. Die Sorge, ob die Bläser des Orchesters dem Werk gewachsen sein würden, erweist sich schon im ersten Satz als unbegründet: Ein gelegentliches Kieksen und Flattern ist unvermeidlich, aber das Blech, allen voran der Solo-Trompeter, leistet insgesamt großartige Arbeit. In den Tanzsätzen beweisen die Holzbläser solistische und kollektive Qualität, die Streicher und das Schlagwerk überzeugen durchgehend, und die Harfen lassen einige leicht zu überhörende Figuren plastisch hervortreten. Chapeau.

Eine gewaltige Königin hört die Tochter des Konzertgängers im ersten Satz und später allerorten Fische, große und kleine, herumwimmelnde und schaurige, gefräßige. Das romantische Heidschibumbeidschi-Posthorn ist ihr naturgemäß besonders lieb, bei der Dissonanz am Ende des dritten Satzes hält sie sich die Ohren zu. Und freut sich, als der ersehnte Engelchor (inklusive ihrer Lieblingscousine) von der Galerie sein Bimbam singt, die Kinderchöre der Musikschulen Bruneck und Klausen, die den von Gerd Guglhör einstudierten Chor bestens ergänzen. Das Urlicht Ruth-Maria Nicolay (statt Nadja Michael) kann indes nicht nur phänomenal mit den Augen rollen, sondern singt mit dramatischer Schärfe und einer Textklarheit, die jeden Übertitel verzichtbar macht. Auch in Johannes Brahms‘ Alt-Rhapsodie, die aber vor der Mahlersinfonie vielleicht doch des Guten etwas zu viel ist.

Nicht der geringste Reiz in Toblach: in der Pause (sinnig nach dem Kopfsatz der Dritten) vor dem Grand Hotel in der Abendsonne zu stehen und in die Dolomiten zu blicken, gemeinsam mit den jungen Musikern, die Red Bull trinken und Wurstsemmeln essen.

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3 Gedanken zu „12.8.2016 – Jugendstilrotbullig: Mahlers Dritte in Toblach

  1. Sie können es nicht lassen, sogar im Urlaub. Dann noch das arme Kind in die 3. Mahler mitnehmen tstststs. Solch Gelegenheiten würde ich auch nutzen. Wünsch noch schönen Urlaub und vor allem schönes Wetter

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