12.11.2016 – Zweithanderstklassig: Vogler Quartett und Silver-Garburg Piano Duo

101Zu seiner Angst vor der Kunst der Fuge steht der Konzertgänger spätestens, seit er weiß, dass selbst der hochgelahrte Hans Heinrich Eggebrechts sich als Zuhörer einer Gesamtaufführung dieses Werkes überfordert fühlte (Bachs Kunst der Fuge, Seite 126). Und seit er 2014 ebendies, eine Gesamtaufführung, durch den Pianisten Jewgeni Korolojow im Kammermusiksaal mit größter Bewunderung und um so geringerem Verständnis gehört hat.

Insofern kommt es ihm entgegen, dass das Vogler Quartett sein Programm im Konzerthaus mit einer überschaubaren Auswahl aus J. S. Bachs Kunst der Fuge eröffnet. Vier Individuen zu hören ist ungemein hilfreich, zumal sich so der Lauf der Stimmen auch optisch verfolgen lässt. Abwechselnd setzen sie zu den Contrapuncti an, bald warm, bald zögernd, bald spröde, brüchig. Und mag Eggebrecht auch angemerkt haben, dass es sich bei der Aufführung durch ein wie auch immer geartetes Ensemble nur noch in bedingtem Maße um ein Werk von Bach handelt, so hat er ja zugleich konzediert, dass etwa die Gleichtönigkeit des Cembalos dem Wirkungsmoment eines so umfangreichen Werkes nicht förderlich wäre. Word. Beim Vogler Quartett ist das Ergebnis so farbenreich, dass es dem Wirkungsmoment wohltut. Circa ab Fuge 5 levitiert der Konzertgänger ein wenig, in vorzeitige Trance, was aber ausgesprochen angenehm ist.

Dass dieses Quartett ein kleines, aber feines, treues, nicht scheues Publikum hat (das allerdings nicht Youth-Bulge-verdächtig ist), zeigt sich darin, dass der Kleine Saal des Konzerthauses bei diesem ausgefallenen Programm annähernd ausverkauft ist: Auch die folgenden Werke stammen ja nur in bedingtem Maße von Schubert und Mendelssohn. Es handelt sich um einen Ausflug in einen Bereich des 19. Jahrhunderts, der fast vollkommen vergessen ist, den der selbstverständlichen Transkription oder, wie es in der Einführung von Sebastian Urmoneit heißt, Musik aus zweiter Hand.

Der 1959 geborene Österreicher Richard Dünser ist die zweite Hand, die Franz Schuberts B-Dur-Sonate D 617, original vierhändig, für Klavier zu vier Händen und Streichquartett bearbeitet hat. Das israelische, in Berlin lebende Silver-Garburg Piano Duo spielt mit, es hat einen hellen klaren Klang, und die Kombination mit dem Streichquartett klingt natürlich ganz zauberhaft. Der musikalische Gewinn scheint allerdings etwas fraglich. Im ersten Satz spielt das Quartett oft unisono und hat manchmal was von Background Boys zum Klavierpart. Schuberts plötzliche Stimmungswechsel und harmonische Umschwünge werden durch die instrumentatorische Unterstreichung paradoxerweise entschärft. Wenn im Andante zuerst die Streicher allein einsetzen, funktioniert die Übersetzung (so Dünser) besser.

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Nicht Fanny, Felix

Felix Mendelssohn Bartholdys Oktett Es-Dur op. 20 ist hingegen die reine Freude. In der Bearbeitung von Carl Burchard von 1885 ersetzt das Klavierduo das zweite Streichquartett, das der 16jährige Mendelssohn in seinem frühen Meisterwerk vorgesehen hatte. Die Klanggruppen sind organisch ineinander verschränkt und verzahnt, sowohl im Kleinen (etwa die reizvollen gemeinsamen Figuren von Klavier und Cello im Kopfsatz) als auch im Großen und Ganzen. Wie die überbordende Freude im ersten Satz plötzlich erstirbt, um darauf noch leuchtender wiederzuerblühen, ist so unmittelbar begeisternd wie das Luftgeisterscherzo. Streichquartett und Klavierduo übertreffen und vereinen sich in grenzenloser Spiellust. Brillante Aufführung einer brillanten Transkription eines brillanten Werkes, bei der der verstockteste Kammermusikmuffel weich werden müsste. Oder: Erste Klasse aus zweiter Hand.

Nächste Konzerte des Vogler Quartetts im Januar, März und Mai 2017.

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