11.12.2016 – Farbensatt: RSB, Steffens, Brantelid spielen Elgar und Vaughan Williams

Berufsorientierender Sonntagnachmittag in der Philharmonie! Eine Menge Kinder ist im Großen Saal beim englischen Konzert des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin zu Besuch. Nachdem sie den dänisch-schwedischen Cellisten Andreas Brantelid gehört und gesehen haben, dürfte ihr Wunsch klar sein: logisch, Cello lernen. (Wenn sie das nicht ohnehin schon tun.)

elgar-by-rothensteinZwar kann man diesem hochbegabten jungen Musiker (man darf einen 29jährigen wohl noch jung nennen, Kunst ist ja kein Leistungssport) keinerlei Imponiergehabe vorwerfen. Mit Jacqueline du Pré verglichen klingt ohnehin jede Interpretation dieses Stückes rank, schlank, nüchtern, und das ist auch gut so. Dennoch lässt sich Edward Elgars Cellokonzert e-Moll (1919) doch nur nach dem Motto spielen: wenn schon, denn schon.

Also wackeln nicht nur Brantelids Finger inbrünstig, sondern auch sein Kopf wogt zum dunklen, noblen Ton. Aber es ist nichts Aufgesetztes dabei. Die flirrenden, sirrenden Passagen gefallen fast noch mehr, ebenso der beiläufige Schluss des Kopfsatzes und später die zerbrechlichen Klänge im 2. und 3. Satz. Hohe Emotionalität, die doch organisch und durchdacht wirkt.

Auch der Dirigent Karl-Heinz Steffens betreibt keine emotionale Sparpolitik, aber das RSB scheint hier nicht so vielschichtig wie der Solist. Vielleicht sollte man die dynamischen Überschwänge etwas ökonomischer dosieren, teilweise geht das Kontrastgewitter auf Kosten des elegischen Zusammenhangs. Wo sind die Zwischentöne? Manchmal klingt es etwas schwerfällig oder knallt ein bisschen arg. Aber Aufmerksamkeit und Kommunikation zwischen Dirigent und Solist sind hoch, und das Hinüberflutschen von den Schlusstönen der Cellopassagen ins Tutti funzt vorzüglich.

Auch Brantelids Zugabe, die Sarabande aus Bachs 1. Cellosuite, klingt wunderbar. Nur eins stört, nämlich dass man hier eine Bachzugabe so sicher erwarten durfte wie das Amen in der Kirche und das Husten im Publikum (es sind übrigens nicht die Kinder!). Es wäre nichts dagegen einzuwenden, wenn gerade ein junger Musiker mal etwas anderes zugäbe, zumal die Cellosuiten eigentlich nie als Zugabe passen, und wenn sie noch tausendmal gespielt werden.

Schön hingegen, wenn Ralph Vaughan Williams jetzt häufiger zu hören sein sollte! Nach dem verdienstvollen Vaughan-Williams-Zyklus des DSO mit Roger Norrington hat das RSB die Sinfonie Nr. 2 G-Dur (1913) aufs Programm gesetzt. Das ist beileibe keine Stadtgeräuschcollage wie Varèses New Yorker Amériques, und Vaughan Williams hat den Untertitel A London Symphony später in Symphony by a Londoner verändert. Steffen Georgi schlägt im Programmheft trefflich Londoner Nachtmusik vor.

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Die Befürchtung, das RSB könnte wie bei Elgar etwas pauschal klingen, zerschlägt sich aufs Erfreulichste: Alles Farbenfrohe, Nächtliche, Tänzerische, Festliche, Stille, Lärmende ist da, so intensiv, wie man es sich nur wünschen kann. Dabei jederzeit klar und deutlich. Die individuelle Qualität der Solisten (Gudrun Voglers Englischhorn etwa und Lydia Rineckers very britishe Bratsche) verbindet sich mit einem kollektiven Klang, der sehr laut werden kann, aber immer kohärent bleibt. Herrlich weiche Hörner.

Und Steffens, stellt man fest, gehört zu jenen Dirigenten, bei denen man ruhig mal die Augen schließen kann, denn was er aus dem Orchester hervorholt, klingt beileibe nicht so breitbeinig, wie er dasteht. Die Ohren entscheiden – und das Herz: Im berauschend breiten Strom des zweiten Satzes versinkt man mit Wollust. Unwiderstehlich, wie im Finale nach einem gewaltigen Inferno die Harfe (!) zärtlich den Big Ben erklingen lässt. Dann folgt eine suggestiv verdämmernde Coda, der auch die schöne Linie der ersten Geige (Erez Ofer) nichts von ihrer Unheimlichkeit nimmt. Was ein Schluss, was eine Symphonie.

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2 Gedanken zu „11.12.2016 – Farbensatt: RSB, Steffens, Brantelid spielen Elgar und Vaughan Williams

  1. Sehr schön, vielen Dank! Man muss mE dieses Konzert mit seinem nicht weniger umwerfenden Klavierquintett hören, um zu verstehen, wie ein vollständig Verzweifelter noch einmal eine überwältigende Anschauung von Schönheit gewinnt, die eben still und etwas andächtig und nicht protzig ist. Das macht heutzutage niemand mehr so wie Andreas Brantelid, der in vielem an die Allergrößten der frühen Jahre denken lässt. https://open.spotify.com/track/4EkgCjs2D8jKzPJNcoJTzb

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