Nach einem Tag voller unangenehmer Erlebnisse am Abend das Sonnenaufgangsquartett: reines Glück. Alltäglicher wie existenzieller Ärger verpuffen, wenn sich zu Beginn die Geigenmelodie über einer ruhigen Klangfläche erhebt, und beim großen B-Dur-Fortissimo durchflutet bereits pure Freude den Konzertgänger – zu einem Zeitpunkt, als Joseph Haydns Streichquartett op. 76, Nr. 4 B-Dur erst ein paar Takte alt ist. Das choralartige Adagio ist einer der berührendsten langsamen Sätze von Haydn, das Quartett stammt von 1797, es klingt manchmal schon nach romantischen Gefühlssphären.
Dabei musiziert das Vogler-Quartett völlig unsentimental. Tim Vogler hat das Gegenteil eines überpolierten Tons, er spielt manchmal rauh, aber immer bewegt, lebendig und in perfekter Koordination mit seinen Kollegen. Man hört und sieht die Erfahrung dieses Quartetts, das seit 30 Jahren in dieser Besetzung musiziert: vier brillentragende Herren mittleren Alters, von denen die mild migrationshintergründige Frau des Konzertgängers sagt, sie sähen so deutsch und protestantisch aus, dass es knallt. Aus ihrem Mund ist das ein Kompliment.
Die weibliche Note bringt dann die junge britische Schlagzeugerin Sabrina Ma auf die Bühne. In Moritz Eggerts Stücken Croatoan I-III, die sich eher assoziativ als konkret auf das mysteriöse Verschwinden einer amerikanischen Siedlerkolonie im 16. Jahrhundert beziehen (mehr dazu hier), gesellen sich nacheinander ein Glockenspiel, ein breites Percussion-Arsenal und eine Große Trommel zum Streichquartett. Die flächigen tonalen Klänge in Croatoan I – Englische Stimmen, hinter denen Glöckchensterne funkeln, verbinden sich im Ohr des Hörers mit dem Beginn des Sonnenaufgangsquartetts. In Croatoan II – Im Sandkasten verschwindet Ma hinter ihrem riesigen Notenblatt, aber man sieht zum Glück ihre Hände, die sich zwischen Bongos, Tambourin, Klingel, einer Ratsche und noch viel mehr bewegen. Auch die Streicher stampfen, scharren, klopfen und bimmeln schließlich mit Glöckchen, die an den Notenständern hängen. Den vier seriösen Herren scheint es wie dem Publikum zu gehen: Erst kostet es etwas Überwindung, dann bereit es große Freude. Schließlich die volle Dröhnung, als in Croatoan III – Perpetuum mobile die Große Trommel den Kleinen Saal des Konzerthauses erbeben lässt, Fasolt-Fafner-Stampfen mit Phasenverschiebung, mitunter auch leise Töne.
Nach der Pause gehört das Podium Moritz Eggert, der so extrovertiert auftritt wie seine Musik klingt. Seine eigene Komposition Hämmerklavier XXV: Abweichung (Hommage à Beethoven) rauscht angenehm, aber etwas undringlich am Publikum vorbei. In Ludwig van Beethovens frühem Klavierquartett Es-Dur op. 16 übernimmt er dann den Klavierpart. Zunächst runzelt man die Stirn über den grimassierenden Paradiesvogler am Klavier, aber man lässt sich schnell überzeugen, dass Eggert ein erstklassiger Pianist ist: Beethovens Witze klingen witzig, die Läufe fetzen. Im zweiten Satz, dem Andante cantabile, trägt er die Streicher auf sanften Flügeln. Eine gelungenes Zusammenspiel, die den drei grundseriösen Herren vom Vogler-Quartett das Extraquäntchen Lockerheit gibt. Und den Hörern Lust auf die nächsten Termine mit dem deutschen, protestantischen, paradiesischen Vogler-Quartett macht.
Moritz Eggert und sein Bad Blog of Muzick