Kurz und kryptisch* (6): Takács Quartett im Konzerthaus

Der superhohe Tinnitus-Ton im Finale von Bedřich Smetanas Streichquartett e-Moll ist der Ton dieses erneut hereinbrechenden Winters unseres Missvergnügens. Man möchte nur noch schreien. Im Konzerthaus ist jetzt auch 2G, aber (noch) Maske ab am Platz erlaubt, selbst manch hochbetagter Kammermusikfreund macht im Kleinen Saal Gebrauch von dem Recht. Die vier Musiker des Takács Quartett hingegen (gegründet vor einem halben Jahrhundert in Budapest, heute daheim irgendwo in Colorado) tragen während des kompletten Konzerts schwarze Masken. Zwischendurch schaut der Primarius mit – so weit bei der halbverborgenen Mimik erkennbar – leicht verstörtem Blick ins Publikum des Hochinzidenz-Gastlandes, das durch verantwortungsscheue Politik und verblendete Impfverweigerer ins offene Messer geschlurft ist. Dass wir gemeinsam mit der Schweiz, Österreich und Südtirol gerade die selbstmörderische Trottelhochburg Westeuropas sind, dürfte sich bis in die Rocky Mountains herumgesprochen haben.

Surprisingly uneven fand der Kritiker des Guardian vor kurzem sein geliebtes Takács Quartet, das gerade auf zwei Positionen neu besetzt ist. Mag sein – ich bin dagegen trotz der verstörenden Begleitumstände begeistert vom jederzeit spürbaren gemeinsamen Grundpuls des Ensembles selbst in Dmitri Schostakowitschs schreckensstarrem 11. Streichquartett von 1966. Auch das passt zur Dystopie von albtraumhaftem Wiederholungszwang, den wir gerade erleben, obwohl wir uns das alles mit etwas Entschlossenheit hätten ersparen können. Das Takács Quartett leistet bedingungslosen Dienst an der Wahrheit und an der Schönheit (nicht zu verwechseln mit blindem Schönklang). Den drohenden hohen Smetana-Ton ahnen wir schon am Ende bei Schostakowitsch. Und dass es in Smetanas Quartett mit dem Beinamen „Aus meinem Leben“ um alles geht, machen die Musiker von Anfang an klar durch extrem bewegtes, kontrastreiches, scharf rhythmisches Spiel. Entfesselt, fast exzessiv das Spiel der Bratsche (Richard O’Neill, einer der beiden Neuen), Polka-Springtanz, keine Darstellung, sondern totale Identifikation.

Am Beginn stand das frappierend düstere Streichquartett f-Moll Hob III:35 von Joseph Haydn. Auch hier dieser faszinierend durchgehende Puls, trotz des eher schweren Grundklangs, selbst noch in den Fiorituren der ersten Geige. Und wie innig die zweite Geige im Kopfsatz respondiert! Harumi Rhodes, die zweite Neue.

Als Zugabe das fetzige Allegro pizzicato aus Bartóks 4. Streichquartett, bei dem die Saiten aufs Griffbrett schnalzen. Ein aufwühlendes, ergreifendes Konzert.


* „Kurz und kritisch“ hieß einst eine Rubrik im Tagesspiegel, die es leider nicht mehr gibt. Da aber k&k immer fein ist, rezensiert der Konzertgänger manchmal auch „Kurz und kryptisch“. 

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2 Gedanken zu „Kurz und kryptisch* (6): Takács Quartett im Konzerthaus

    • Das Takács Quartett kam auf seiner Europa-Tournee gerade von Florenz nach Berlin (vorher UK). In Florenz liegt die Inzidenz bei gut 60 – und das nach der norditalienischen Katastrophe vor einem Jahr! In Italien hat man im Sommer eben die entschlossenen Maßnahmen ergriffen, vor denen unsere Politik sich gedrückt hat und die jetzt hektisch nachgeholt werden. Das wäre komplett vermeidbar gewesen.

      Dass die USA ein warnendes Beispiel und die Impfverweigerer dort noch zahlreicher und verblendeter sind als hier, ist klar.
      Umso schlimmer:

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