Glücklich geunglückt

Premiere „Katja Kabanowa“ an der Komischen Oper

Sie scheinen gar kein Ende zu nehmen, die so hohen wie engen Räume mit ihren so riesigen wie erschlagenden Türen, wie sie sich da langsam über die Bühne schieben und die verzweifelte Katja davonläuft und immer am selben Ort bleibt. Dabei sind es bloß drei Räume oder so, die die Bühnenbildnerin Julia Katharina Berndt da hingestellt hat. Solides Regiehandwerk von Jetske Mijnssen, das doch durch simples Zimmerverrammeln unbegrenzte Räume öffnet, ganz passend zu Leoš Janáčeks kleinteiliger Unendlichkeits-Musik. Sängerinnen (Männer sind mitgemeint) und Orchester lösen das Versprechen der Inszenierung ein: sehr gelungene neue Katja Kabanowa an der Komischen Oper Berlin.

In Andrea Breths Kabanowa an der Staatsoper Unter den Linden, die manche furchtbar langweilig finden (ich nicht), ist die Wolga noch als Badewanne und Plastiktüte mit einem Goldfisch oder dergleichen darin anwesend. Bei Mijnssen gibt es keinen Tropfen Wasser, nur diese unentrinnbaren hohen Räume (während Breth quasi raumlos war, totale Weite, so dass Katja sich in einen mystischen Kühlschrank zurückzog). Die Kabanowa wird dadurch ganz zum Psychodrama der verunglückenden Frauenseele; die gesellschaftskritischen Restbestände des Werks (von Janáček gegenüber der Vorlage des Tschechow-Vorgängers Ostrowski wohl schon reduziert) verdünnisieren sich. Und doch ergeben sie sich ja wieder wie von selbst angesichts dieses Blicks, der auf und in die Protagonistin dringt und auch aus ihr heraus. Phänomissimum, was für ein Frauenversteher ausgerechnet dieser alte (und gegenüber seiner vielbeschworenen „Muse“ Stösslova wahrscheinlich reichlich cringe) Knöterich Leoš Janáček war. 67 Jahre alt bei der Uraufführung der Kabanowa in Brünn, 100 Jahre und 4 Tage vor der Komische-Oper-Premiere.

Nicht nur im Regie-Team geben Frauen den Ton an, auch im Orchestergraben. Im Vorspiel bin ich noch beunruhigt, wie die litauische Dirigentin Giedrė Šlekytė auf die Tube drückt. Aber wie zielgenau sie das Orchester dann zur rechten Zeit aus dem Takt geraten lässt, verlangsamt und wieder anzieht, hochdreht und abdämpft, ist beeindruckend. Auch in der genauen klangraumadäquaten Zurichtung auf den Saal der Komischen Oper, der feinstem musikalischen Pinselstrich nicht immer gewogen ist. Unbarmherzige bohrende Bässe erleben wir also und barmende Holzbläser und Celli, schnarrendes Blech, und immerzu dieses sich ins Ohr schneidende Paukenmotiv, wie es simpler nicht sein könnte und doch alles destabilisiert. Und den Klang der Viola d’amore, die sich immerzu ins Orchester mischt, mal mit der Oboe mitgeht, dann mit der Klarinette. Gleichgang, wie sie sich auch die arme Katja erträumt. Das Wichtigste, was Šlekytė mit dem Orchester schafft: diesen Janáček-Sog entstehen zu lassen, auf engstem Raum, wo es einen innerhalb von dreißig Sekunden zu Tränen der Hoffnung rühren kann und dann in kalte, harte Ausweglosigkeit zurückwirft.

Immer wieder ist man stupendisiert, wie schnell so eine Janáček-Oper rum ist.

Dieses atemberaubende Janáček-Tempo, bei dem in rasantem Fortgang dauernd winzige Inseln der Unendlichkeit aufleuchten, manchmal nur ein paar Töne: Das verkörpert hier auch Annette Dasch. Ein Rollendebüt, bei dem ich vorher etwas skeptisch war, aber es ist eine starke, außerordentlich bewegende Leistung. Sie ist wohl ohnehin ein passenderer Stimmtyp als die brünnhilde-fähigen Katjas drüben an der Staatsoper; leichte Höhenschärfe fällt nicht ins Gewicht gegenüber ihrer ergreifenden Härte wie Lyrik. Es ist eine wirklich packende, rührende, verzweifeln machende Darstellung der Katja durch Annette Dasch.

Menschliche Züge in der absoluten Aporie bekommt selbst die Schwiegermutter des Grauens Kabanicha, dank Mijnssens Regie sowohl als auch der Interpretation von Doris Lamprecht, die trotzdem (obwohl stimmlich merklich gefordert) der personifizierten Heuchelei dieser unglücklichen Unglücklichmacherin nichts schuldig bleibt. Nur ihre Pflegetochter Varvara (die schön jugendliche Karolina Gumos) lässt nichts an sich heran, in gepanzerter Unschuld, die sich und ihren Geliebten Kudrjasch (Timothy Oliver) vielleicht noch retten kann vor der Allmisere.

Vielschichtig und geschmeidig, durchaus sympathisch auch Magnus Vigilius als Boris, Katjas Liebes-Illusion, mit dem ihre Stimme einmal, ein einziges Mal nur verschmelzen darf, für wenige gemeinsam gesungene Worte, schon knapp vor Untergang. Katjas Untergang; der Mann mag sich noch retten in einer gnadenlosen Männerwelt. Und dass Stephan Rügamer die Ambivalenz des an sich nicht bösen, aber schwachen Kabanowa-Gatten und Kabanicha-Sohns Tichon meisterhaft zu verkörpern versteht, hat sich schon drüben an der Staatsoper gezeigt. Schönes Nachbarschafts-Teamwork fürs Komische-Oper-Ensemble. Zu letzterem gehört auch der kraftvolle, durchaus komische Bass von Jens Larsen als abergläubischer Geizhals Dikoj, der seinen Zögling Boris malträtiert und die Kabanicha hier unter dem Tisch flachlegt, oder sie ihn (während bei Breth auf dem Tisch flachgelegt wurde).

Finde diese „Katja Kabanowa“ absolut geglückt, oder sagen wir: glücklich geunglückt. Genug Janáček kanns sowieso nie geben. Noch sind Opernhäuser und Konzertsäle offen, mit 2G+ (Impfung + Maske), 2G++ kann auch nicht schaden (vorher testen). Die Häuser tun ihr Bestes für die Sicherheit von Musikern und Publikum, die Besucher ziehen doch jetzt ziemlich konsequent mit, vielleicht kann es so doch verantwortungsvoll weitergehen in der Pandemie-Misere, die wie ein Schlauch von Räumen wirkt, aus dem man einfach nicht mehr herauskommt. Vier Vorstellungen gäbe es jedenfalls im Dezember und zwei im Januar; wenn es sie denn geben wird. Bleiben Sie gesund, und verlieren Sie nicht die Zuversicht.

Zu „Katja Kabanowa“ / Mehr über den Autor / Zum Anfang des Blogs

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Wenn Sie Hundert11 unterstützen möchten, können Sie mir unkompliziert über Paypal einen kleinen Betrag spenden.

Schreibe einen Kommentar